von Gabriela Al-Husein, Sophie Tichonenko, Jehona Miftari und Lisa Bellmann
Mit ihrem Motto „früher normal – heute verboten“ wirft der Alet Allensbach einige Fragen auf. Eine Antwort auf die Frage, was der Hintergrund des Mottos ist, liefert das Titelbild des zugehörigen Narrenhefts: Dort werden neben Plastikmüll auch die Werbefigur der Sarotti-Schokolade und ein Straßenschild mit M-Wort als Verbotsschild inszeniert. karla hat bereits darüber berichtet. Wir setzen das Ganze in einen historischen, dekolonialen Kontext, um die gesellschaftspolitischen Dimensionen aufzuzeigen.
Bei dem Wort „Mohren“ (wir nennen es M-Wort) handelt es sich um eine rassistische Fremdzuschreibung für Schwarze Menschen. Der Begriff geht einher mit karikaturhaften Abbildungen Schwarzer Menschen – oft in Form von Wappen, Werbefiguren und Apotheken. Diese Abbildungen sind überzogene Darstellungen fernab von dem, wie echte Menschen aussehen. Niemand sieht so aus wie die Sarotti-Figur oder die Figur an der Konstanzer M-Apotheke. Abbildungen wie diese, oder auch die auf dem Titelblatt des Narrenhefts, verfestigen Stereotypen. Diese lösen zum einen Verletzung bei von Rassismus betroffenen Menschen aus. Zum anderen haben sie reale Auswirkungen auf das Leben von Betroffenen (beispielsweise in der Schule oder bei der Job- und Wohnungssuche). Um dieser Verletzung und Diskriminierung ein Ende zu setzen, fordern verschiedene Gruppen dazu auf, Straßen und Plätze umzubenennen. Diese Forderungen gibt es auch in Konstanz.
Der Narr als Spiegel unserer Gesellschaft?
„Ein Narr zeigt der Obrigkeit einen Spiegel. Er weist darauf hin, dass es Dinge gibt, die nicht gut sind oder rund laufen,“ erklärte Ludwig Egenhofer, Präsident jenes Narrenvereins Alet Allensbach auf Anfrage. Der Spiegel, den Egenhofer anspricht, ist in der schwäbisch-alemannischen Fasnacht ein traditionelles Symbol für zwei närrische Eigenschaften: Sehen sich die Närr:innen in ihm, spielt er auf ihre Selbstbezogenheit an. Närr:innen nutzen ihn aber auch, um dem Gegenüber die eigenen Fehler vorzuhalten.
Der Vorstand der Alet selbst besteht mehrheitlich aus Personen, die das Gemeindewesen aktiv und in entscheidenden Rollen mitgestalten – sie sind also Teil der Obrigkeit. Es bleibt also offen, wer hier eigentlich wen wofür rügt. Um beim Präsidenten zu bleiben: Ludwig Egenhofer ist stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Allensbach, Vorstand der CDU-Fraktion im Gemeinderat und war von 2016 bis 2019 Leiter des Amts für Migration und Integration im Landratsamt Konstanz. Wer ist dann diese Obrigkeit, der der Spiegel vorgehalten wird?
Rassismus bleibt Rassismus
Rassistische Abbildungen und Bezeichnungen, wie sie auf dem Titel des Narrenhefts zu finden sind, standen in den vergangenen Jahren immer wieder in öffentlicher Diskussion. Expert:innen und Betroffene haben ausführlich erklärt, weshalb sowohl die Sarotti-Figur als auch das M-Wort rassistisch diskriminierend sind.
Die Sarotti-Figur ist eine überspitzt exotisierende und objektifizierende Darstellung einer Schwarzen Person. Die Exotisierung definiert die Zuschreibung von stereotypen, vermeintlich positiven Eigenschaften. Betroffene werden darauf reduziert und zu Fremden konstruiert. Im Prozess der Objektifizierung wird Menschen ihr Menschsein abgesprochen, indem ihnen Gefühle, Streben nach Selbstbestimmung und eine eigene Meinung aberkannt werden. Darüber hinaus trägt die Figur eine Pluderhose, Schnabelschuhe und ein Tablett. Die Bekleidung enthält orientalistische Elemente. Der Literaturwissenschaftler Edward Said hat schon 1987 kritisiert, dass der Westen einen Mythos des Orients kreiert: Der Orient wird in der westlichen Wissenschaft als exotisch, bedrohlich – oder positiv besetzt – als besonders luxuriös oder spontan beschrieben. Der Westen stellt sich demnach in eine überlegene Position, indem er sich durch die permanente Abgrenzung eine moralische und intellektuelle Überlegenheit zuschreibt. Die Figur ist daher keine realgetreue Darstellung einer Person, sondern die Vermischung verschiedener Fantasien des Fremden und Exotischen.
Der Begriff „BIPoC“ steht für Black, Indigenous, People of Color und bedeutet zu Deutsch: Schwarze, Indigene und Menschen of Color. Der Begriff ist eine politische Selbstbezeichnung, die aus dem Widerstand entstanden ist und somit ermächtigend wirkt. Zum einen vereint die Bezeichnung die Kräfte diskriminierter und marginalisierter Menschen, zum anderen macht sie ihre Kämpfe um Gleichberechtigung sichtbar.
Scheinbar fühlt sich der Alet davon provoziert, dass jene kolonial geprägten Symbole demontiert und neu kontextualisiert werden. Dabei blenden die Allensbacher:innen vollkommen aus, dass eigentlich sie die Angreifer:innen sind. Als weiße Menschen in teilweise führenden politischen Positionen sind sie privilegiert. Sie treten von oben nach unten – und nicht gegen eine vermeintliche Obrigkeit, wie sie Egenhofer beschreibt. Mit ihrem Beharren auf koloniale Kontinuitäten verletzen sie BIPoC.
Oder doch nur eine Blase?
Die Kampagne des Alet wirkt damit wie ein Angriff auf die „woke-Bubble“, die sie zur Einsicht ruft. Das hat angesichts der Tradition von Schweinsblasen in der alemannischen Fasnacht eine gewisse Komik. Die mit Luft gefüllten „Saublodere“, die viele Narren von der Baar bis an den See mit Wucht auf den Boden schlagen, sind ein Symbol für Inhaltslosigkeit. „Das Bild der närrischen Welt, die jederzeit platzen und sich in nichts auflösen kann, ist heute aktueller denn je,“ weiß das virtuelle Fasnachtsmuseum. Das virtuelle Fastnachtsmuseum ist eine Website mit Informationen rund um die Fastnacht zu Themen wie Ursprung, Verbreitung und Bräuchen.
„Woke“ ist ein in den 1930er Jahren im afroamerikanischen Englisch entstandener Ausdruck, der ein „erwachtes“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit, Sexismus und Rassismus beschreibt. In den letzten Jahren wurde der Begriff insbesondere von Konservativen und Rechten politisch instrumentalisiert und abwertend verwendet. Weitere Begriffe, die dabei synonym und ebenfalls negativ konnotiert genutzt werden: „politische Korrektheit“ oder „Cancel Culture“.
Verletzungen, die aus Diskriminierung entstehen, lösen sich aber nicht auf – und das Narrenheft ist damit keinesfalls inhaltslos. Vor der Verantwortung im Umgang mit diskriminierender Sprache und unterdrückender Symbolik schützt auch die Blase der Narrenzeit nicht.
Betroffene bleiben unsichtbar
Es ist kaum vorstellbar, dass alle Berichte und Bemühungen von rassistisch diskriminierten Menschen am Alet vorbeigegangen sind. Es scheint dem Alet einfach gleichgültig zu sein, dass sich ein Teil unserer Gesellschaft von jenen Worten und Bildern verletzt fühlt, die er abbildet. Mit der Kampagne werden nicht nur die Stimmen von BIPoC stummgeschaltet und ihre Betroffenheit ins Lächerliche gezogen. Alle Närr:innen sind auch aufgefordert, das Motto auf den Veranstaltungen umzusetzen.
Dass am diesjährigen Alet-Abend rassistisch diskriminierende Verkleidungen die Veranstaltung in Allensbach begleitet haben, hat nichts mehr mit einer Distanzierung von der „woke-Bubble“ zu tun.
Wer führt hier eigentlich welche Debatte?
„Der Narr ist frei, da geht es auch viel um Meinungsfreiheit“, behauptet Egenhofer. Nur: Fallen rassistische Diskriminierungen unter Meinungsfreiheit? In Artikel Eins des Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In Artikel Drei sogar: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Ist das Motto eine Provokation? Oder agiert der Verein aus seiner Nicht-Betroffenheit und Machtposition heraus? Diese Fragen bleiben offen. Gleichzeitig scheint der Verein einen ehrlichen Diskurs abzulehnen, indem er sich mit einem simplen „Nein, sowas meinen wir eigentlich gar nicht“ aus der Verantwortung zieht.
Er lässt keinen Raum für Diskussion, schiebt alles auf ein Missverständnis und nimmt dadurch die Rolle des Opfers ein. Das dient als Selbstverteidigung und hat zwei Folgen: Zum einen kann der Alet sich so als moralisch überlegen darstellen. Zum anderen verschleiert er durch seine Inszenierung als Opfer der Debatte auch die wahre Macht seiner sozialen Stellung. Er verweigert sich seiner Täterverantwortung.
Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert
Nach all dem ist nicht nur die Existenz des Mottos, sondern auch die fehlende Debatte darüber problematisch. Das zeigt, wie tief verankert rassistisches Denken in der Gesellschaft ist. Maskiert als ein essenzieller Teil der „Fasnachts-Tradition“ scheint es keinen Raum zu geben, in dem Kritik an dem Motto geäußert werden könnte. Betroffene müssen sich diesen Raum aktiv nehmen.
Täten sie das nicht, blieben das Motto und all die damit einhergehenden problematischen und verletzenden Kostüme unkommentiert stehen. Sie würden sich in Beispiele einreihen, die gemeinsam den gigantischen Eisberg namens institutionellen und strukturellen Rassismus formen. Der immer weiter wächst, wenn er nicht benannt wird.
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