Einigung im Streit um die Erhöhung der Kitagebühren

Wer mehr verdient, muss mehr zahlen: Stadt und Elternvertreter:innen einigen sich auf ein neues, einkommensabhängiges Modell bei der Berechnung der Gebühren für Kita und Kindergarten. Es soll ab 2024 gelten. Die Frage, wie gut das kontrolliert wird, bleibt allerdings offen.
Erfolgreicher Protest: Im März demonstrierten rund 100 Eltern teilweise mit ihren Kindern gegen die geplante Erhöhung der Kitagebühren in Konstanz. Jetzt haben sich Eltern und Stadt auf ein neues Modell geeinigt. Bild: Michael Lünstroth

Im März gab es noch großen Streit um die Erhöhung der Kitagebühren („Kitagebühren steigen um 25 Prozent“), jetzt scheint das Thema aufgearbeitet. In fünf Sitzungen im Laufe der vergangenen Monate haben sich Elternvertreter:innen, Stadt und freie Träger:innen auf ein neues, einkommensabhängiges Modell geeinigt. Es soll ab 1. Januar 2024 zur Berechnung der jeweiligen Kitagebühren gelten.

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Mit großer Mehrheit hat der Jugendhilfeausschuss des Konstanzer Gemeinderats am Mittwochabend das neue, einkommensabhängige Gebührenmodell für Kitas und Kindergärten verabschiedet. Damit erhöhen sich die Gebühren zum 1. Januar 2024 um 25 Prozent.

Wie hoch die Gebühren wirklich ausfallen hängt neben den Bruttoeinkünften der Familie auch von der Art des Beschäftigungsverhältnisses und der Anzahl der Kinder ab. Für das zweite Kind gibt es eine Ermäßigung um 25 Prozent. Für jedes weitere Kind entfällt die Gebühr. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die gleiche Kita oder eine andere Einrichtung ist.

Besonders betroffen von der Erhöhung sind Familien mit einem Krippenkind, die sich eine Ganztagsbetreuung wünschen. Für diese Familie können Mehrkosten von 702 Euro im Jahr entstehen.

Gerecht für alle könnten solche Modelle nie sein, merkte Sozialbürgermeister Andreas Osner in der Sitzung an. Aber das neue Konstanzer Modell sei „eine Annäherung an Gerechtigkeit“. Die Stadträt:innen begrüßten fraktionsübergreifend den jetzt gefundenen Kompromiss zwischen Stadt und Elternvertreter:innen.

Till Seiler (Freie Grüne Liste): „Wir bleiben auch mit den neuen Gebühren unter dem Landesschnitt. Deshalb ist das jetzt ein sehr gut ausgehandelter Kompromiss.“

Marcus Nabholz (CDU): „Ich hätte mir etwas weniger Erhöhung bei unteren Gehaltsstufen und etwas mehr Erhöhung bei den oberen Gehaltsstufen gewünscht. Aber insgesamt bin ich froh, dass es zu einer Einigung gekommen ist.“

Susanne Heiss (Freie Wähler): „Wir sind dankbar für den gefundenen Kompromiss, auch wenn ich mir gerade noch schwer vorstellen kann, wie die Angaben der Eltern im Sozial- und Jugendamt von einer halben Stelle kontrolliert werden können. Grundsätzlich sollten wir zeitnah das Gespräch mit dem Land suchen und aufzeigen, dass sie sich stärker an den Kosten der Kinderbetreuung beteiligen müssen.“

Tanja Rebmann (SPD): „Wir begrüßen, dass gemeinsam konstruktiv gearbeitet wurde. Wir haben nur Bauchschmerzen an einer Stelle: Mit dem neuen Modell müssen ärmere Familien mehr von ihrem Einkommen für Kinderbetreuung ausgeben (7,7%) als es Familien aus den oberen Einkommensstufen müssen (4,4%). Das finden wir sozial ungerecht.§

Matthias Schäfer (Junges Forum Konstanz): „Wir sind glücklich über den Konsens. Das ist ein guter Einstieg in ein einkommensabhängiges Modell. Sollten wir in der Praxis merken, dass Nachjustierungen notwendig werden, können wir das jederzeit beschließen.“

Frank Hoffmann (FDP): „Wir sind zufrieden mit dem Kompromiss. Rückblickend muss man sagen: Wir hätten uns die Schärfe in der Debatte ersparen können, wenn wir in den vergangenen zehn Jahren die Beiträge sukzessive und nicht wie jetzt auf einen Schlag erhöht hätten.“

Anke Schwede (Linke Liste): „Das neue Modell geht in die richtige Richtung, die soziale Staffelung reicht aber nicht aus. Wir treten weiter für gebührenfreie Kitas ein, deshalb können wir auch diesem Modell nicht zustimmen.“

Der Gemeinderat berät das Modell abschließend am 28. September, bis November soll die Satzung für das neue Modell fertig sein und erneut im Ausschuss behandelt werden. Ab 1. Januar 2024 sollen die Beiträge dann in allen Konstanzer Kitas gelten.

In den Gesprächen zwischen Stadt und Elternvertreter:innen ging es nicht mehr um die grundsätzliche Frage der Erhöhung der Gebühren. Diese hatte der Gemeinderat bereits im März beschlossen. Ziel des Austauschs war es, ein gerechtes Modell zu entwickeln, das den Beitrag der Eltern zwar erhöht, sie aber nicht übermäßig  belastet. Das Ergebnis ist ein vierstufiges Modell, das Bruttoeinkünfte der Familien ebenso berücksichtigt wie die Art der Beschäftigung. Menschen in klassischen steuer- und sozialversicherungspflichtigen Jobs haben dadurch bei der Berechnung ihrer Gebühren beispielsweise Vorteile gegenüber Beamt:innen.

Was das konkret für Konstanzer Familien bedeutet

Zwei Beispiele: Eine Familie, die ihre Einkünfte aus einem klassischen Beschäftigungsverhältnis bezieht und brutto insgesamt 69.900 Euro im Jahr verdient, zahlt in der neuen Einkommensstufe 1 für Kinder unter 3 Jahren in der Ganztagsbetreuung beim ersten Kind 248,63 Euro (bislang waren es 234 Euro) im Monat. Eine Familie, die ihre Einkünfte aus einem Beamtenverhältnis bekommt und brutto insgesamt ebenfalls 69.900 Euro im Jahr verdient, landet in der Einkommensstufe 2 und zahlt für Kinder unter 3 Jahren in der Ganztagsbetreuung beim ersten Kind 292,50 Euro (bislang waren es hier 234 Euro) im Monat.

Was passiert, wenn Familien unterschiedliche Einkommensformen haben, ist bislang noch ungeklärt und soll in den politischen Beratungen gelöst werden. In den neuen Einkommensstufen gelten folgende Bruttogrenzen für Familien mit einem Kind: Bis 69.600 Euro (Stufe 1), bis 104.400 Euro (Stufe 2), bis 145.000 Euro (Stufe 3) und ab 145.000 Euro (Stufe 4). Das Modell mit den pauschalen Abzügen je nach Beschäftigungsverhältnis ist keine Konstanzer Neuerfindung, es wird in Reutlingen bereits angewendet.

So sehen die neuen Einkommensstufen für die Berechnung der Kitagebühren in Konstanz aus. Eltern und Stadtverwaltung haben sich darauf verständigt. Auf der Grundlage beginnt jetzt die politische Diskussion im Gemeinderat. Bild: Michael Lünstroth

SPD findet das Modell sozial nicht gerecht

Kritik an dem neuen System kommt von der SPD: „Im jetzt vorliegenden Modell müssten Familien in den unteren beiden Gehaltsstufen prozentual mehr von ihrem Familienkommen für die Kita-Gebühren entrichten als die oberen Stufen. Das finden wir sozial nicht gerecht“, sagt SPD-Rätin Tanja Rebmann.

Deshalb werde ihre Fraktion bis zur Ausschuss-Sitzung am Mittwoch einen Änderungsvorschlag einbringen, „damit die Gebühren einen ausgewogeneren prozentualen Anteil vom Familieneinkommen ausmachen“, so Rebmann gegenüber karla.

Die Einkommensstufe 2 des neuen Modells (bis 104.400 Euro Bruttoeinkommen bei einem Kind) bildet die künftigen Sockelbeiträge für Kitagebühren in Konstanz ab. Deutlich teurer wird es demnach vor allem für Familien mit einem Kind, die sich eine Ganztags-Krippenbetreuung wünschen. Die Jahresmehrkosten liegen im Sockelbetrag bei 702 Euro. Alle Monatsbeiträge der Sockelbeiträge im Überblick.

U3 vormittags:   137,50 Euro (1. Kind; bislang 110 Euro), 103,13 Euro (zweites Kind, bislang 82,50 Euro)

U3 verlängerte Öffnungszeiten: 165 Euro (1. Kind; bislang 132 Euro), 123,75 Euro (zweites Kind, bislang 99 Euro)

U3 ganztags: 292,50 Euro (1. Kind; bislang 234 Euro), 219,38 Euro (zweites Kind, bislang 175,50 Euro)

Ü3 vormittags: 68,75 Euro (1. Kind; bislang 55 Euro), 51,56 Euro (zweites Kind, bislang 27,50)

Ü3 verlängerte Öffnungszeiten: 82,50 Euro (1. Kind; bislang 66 Euro), 61,88 Euro (zweites Kind, bislang 49,50 Euro)

Ü3 ganztags: 172,50 Euro (1. Kind; bislang 138 Euro), 129,38 Euro (zweites Kind, bislang 82,50 Euro)

Eine Einladung zum Betrug?

Ein Knackpunkt des neuen Systems bleibt weiterhin die Frage der Kontrolle. Denn: Den Nachweis über ihre Einkünfte sollen Eltern per Selbsterklärung gegenüber dem Sozial- und Jugendamt angeben. Ob sie dabei die Einkommenshöhe oder lediglich die Einkommensstufe benennen sollen, das sei noch offen, sagt Alfred Kaufmann, Leiter des Sozial- und Jugendamts gegenüber karla.

Um die Richtigkeit dieser Angaben zumindest stichprobenweise überprüfen zu können, wurde bereits im März eine neue halbe Stelle im Sozial- und Jugendamt geschaffen. Trotzdem bleiben an der Stelle Bedenken: Öffnet man mit einem auf Selbsterklärungen beruhenden System nicht die Tür zum Betrug? Eltern könnten erfundene Angaben machen, um günstigere Gebührenstufen zu erreichen. Ganz ähnlich wie das auch beim Kitaplatz-Vergabesystem geschieht. Auch darüber wird der Gemeinderat in den nächsten Wochen noch diskutieren.

Die Regeln für Geschwisterkinder

Neben der Art des Beschäftigungsverhältnisses fließt in die individuelle Berechnung zudem die Anzahl der Kinder. Für Familien mit mehreren Kindern gilt: Für das zweite Kind gibt es eine Ermäßigung um 25 Prozent, für jedes weitere Kind entfällt die Gebühr. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die gleiche Kita oder eine andere Einrichtung ist.

Die Stadtverwaltung lobt den gefundenen Kompromiss und auch den Weg dahin. Die Zusammenarbeit sei konstruktiv und engagiert gewesen, das vorliegende Ergebnis „erfüllt weitestgehend die unterschiedlichen Erwartungen“, heißt es in der Vorlage zur Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Ähnlich zufrieden äußert sich auch Heike Kempe vom Gesamtelternbeirat (GEB) Kita: „Alle unsere Bedenken wurden aufgegriffen und diskutiert. Der Austausch ist genau das, was Anfang des Jahres gefehlt hat und wir immer gefordert haben: dass alle Beteiligten an einem Tisch über das Thema reden“, sagt Kempe.

Das Foto zeigt den Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt mit einem Megafon in der Hand. Er spricht zu Demonstrant:innen, die sich gegen die Erhöhung der Kitagebühren wehren.
OB mit Megafon: Der Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt suchte im März das Gespräch mit den Demonstrant:innen am Rande der Gemeinderatssitzung. Jetzt liegt eine mögliche Lösung des Konflikts auf dem Tisch. Bild: Michael Lünstroth

Einkommens­grenzen bewusst hoch angesetzt

Sie freue sich besonders, dass es gelungen sei, die Einkommensgrenzen der einzelnen Stufen im Vergleich zu anderen Kommunen hoch anzusetzen. „Dadurch erreichen wir, dass eine Mehrheit der Konstanzer Familien nicht mehr als die bereits beschlossene 25-prozentige Erhöhung bezahlen müssen. Damit haben wir soziale Härten abgefedert“, erklärt die GEB-Vorsitzende.

Auch bei den freien Kita-Träger:innen herrscht Zufriedenheit. „Wenn mich jetzt Eltern aus unseren Kitas ansprechen, kann ich 100-prozentig zu der nun gefundenen Lösung stehen“, sagt beispielsweise Isabel Schlögl, zuständig für die Kitas der katholischen Kirche. Der gesamte Weg zur Entscheidung sei sehr gut gelaufen. Aus dem Ärger heraus sei „ein Modell für eine beispielhafte Zusammenarbeit“ entstanden, findet Schlögl. „Das sollte man auch für andere Themen in unserem Bereich übernehmen.“

Die besondere Bedeutung der freien Kita-Träger:innen

Die freien Kita-Träger haben in Konstanz eine besondere Bedeutung. Von den 56 Einrichtungen in der Stadt sind 45 bei freien Trägern angesiedelt. Allein die katholische Kirche betreibt 15 Kitas und Kindergärten. Isabel Schlögl räumt ein, dass die Umsetzung des Beschlusses eine große Herausforderung für alle Kitas werde: „Da kommt ein massiver Verwaltungsaufwand auf uns zu, das muss man erstmal stemmen.“ Trotzdem sei der jetzt beschrittene Weg richtig.

Damit sei auch das Ziel von vergleichbaren Kitagebühren in allen Einrichtungen in Konstanz näher gerückt. Während die städtischen Kitas nach den vorliegenden Plänen bereits zum 1. Januar 2024 ihre Beiträge um 25 Prozent erhöhen, hat Isabel Schlögl etwas mehr Zeit. Denn anders als bei den städtischen Kitas hatte die katholische Kirche die Elternbeiträge in den vergangenen Jahren bereits erhöht. Eltern zahlen dort also bereits jetzt mehr als Eltern in städtischen Einrichtungen. Perspektivisch sollen sich so bis 2027 die Beiträge von städtischen und freien Kitas angleichen.

Der Gemeinderat berät das Thema abschließend voraussichtlich Ende September. Sollte das Modell eine Mehrheit in der Politik finden, wird es zum 1. Januar 2024 umgesetzt. Urspünglich sollten die neuen Beiträge bereits ab September 2023 gelten. Das ist allerdings am Widerstand der freien Träger:innen gescheitert. Sie hielten eine Umsetzung zum Herbst für unmöglich.