Irgendwann in dieser insgesamt fast vierstündigen Debatte am Dienstagabend im Bildungsausschuss des Konstanzer Gemeinderats wird Frank Schädler ungeduldig. „Wir brauchen eine Entscheidung. Und wir brauchen sie jetzt!“, sagt der Leiter des städtischen Amt für Bildung und Sport. Die Entscheidung, die er herbeisehnte war eine Entscheidung über eines der größten Investitionsprogramme in die Konstanzer Schulgebäude seit Jahren. Viel zu lange habe die Politik diese Aufgabe vor sich hergeschoben, jetzt werde es Zeit zu handeln, hatte Schädler im Gespräch mit karla bereits vor der Sitzung gesagt.
Und dann, gegen 22:04 Uhr am Dienstagabend, ist es soweit: Die Stadträt:innen bekennen sich mit großer Mehrheit zu ihrer Verantwortung für den Schulbau und machen den Weg frei für Ausgaben von rund 125 Millionen Euro, die in den nächsten Jahren nicht nur zu Sanierung, Erweiterung und Modernisierung der Konstanzer Schulen führen, sondern auch zwei ganz neue Schulen möglich machen sollen. Das ist auch deshalb notwendig, weil die Schüler:innenzahlen voraussichtlich bis 2035 weiter steigen werden.
<!– Paywall –>Das ganz große Aufatmen ist noch nicht zu spüren
Allerdings: Manches aus dem Investitionspaket ist noch unter Vorbehalt. Denn: Die finale Entscheidung trifft nicht der Fachausschuss, sondern der gesamte Gemeinderat. Und einige der geplanten Maßnahmen sind noch in der Prüfungsphase. Was bedeutet, dass teilweise erst Machbarkeitsstudien zeigen sollen, ob die geplanten Bauten überhaupt so möglich sind, wie sich Politik und Verwaltung das jetzt ausgedacht haben.
Das ganz große Aufatmen ist aus der von Raumnot geplagten Konstanzer Schullandschaft also noch nicht zu vernehmen. Zumindest in Wollmatingen und Allmannsdorf können sich Schüler:innen und Lehrer:innen auf eine Verbesserung ihrer Situation freuen. Die an den beiden Grundschulen geplanten Erweiterungen sollen jetzt schnell umgesetzt werden. Ein Ende des Unterrichts in Containern scheint in Sichtweite zu sein. Die geschätzten Kosten hierfür liegen nach einem von der Stadt beauftragten Gutachten bei 3,2 Millionen Euro (Allmannsdorf) beziehungsweise 2,1 Millionen Euro (Wollmatingen).
Was jetzt sofort gemacht werden soll
Insgesamt sind nach diesem Gutachten in den Grundschulen Investitionen in Höhe von 51,8 Millionen Euro notwendig. Der größte Anteil davon (15,5 Millionen Euro) soll in den Neubau der Grundschule im neu entstehenden Wollmatinger Wohngebiet am Hafner fließen. Dort soll bis 2030 eine 2- bis 3-zügige neue Grundschule gebaut werden. Auch dafür hat der Ausschuss am Dienstagabend eine Vorentscheidung gefällt. Am Ende entscheidet auch hier der Gemeinderat.
Etwas mehr Geduld brauchen die Grundschulen Haidelmoos, Dingelsdorf, Sonnenhalde, Petershausen, Wallgut und Stephan. Die notwendigen Erweiterungen dort sind entweder im Planungs- oder Prüfungsstatus. Das betrifft auch die Erweiterungen, die notwendig werden, wenn der Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen ab 2026 greift. Die Stadt Konstanz rechnet damit, dass die Betreuungsquote deswegen von 60 Prozent auf 80 Prozent der Grundschüler:innen sukzessive steigen wird. Dafür braucht es dringend neue Räume.
Gemeinschaftsschule? Gymnasium? Oder beides? Welche Schule soll im Hafner gebaut werden?
Während die Ausgaben für die Grundschulen im Ausschuss unstrittig war, zog sich die Debatte über einen anderen Punkt des Investitionspakets in die Länge. Im neuen Stadtteil Hafner (3000 neue Wohnungen sollen entstehen) ist neben einer Grundschule auch eine weiterführende Schule geplant. Über die Art dieser Schule gab es eine intensive Diskussion. Die Stadtverwaltung war mit dem Vorschlag eines neuartigen Schulverbunds aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule in die Diskussion gegangen.
Dieses Modell berücksichtige einerseits den Elternwunsch nach mehr gymnasialen Schulplätzen (52 Prozent der Konstanzer Grundschüler:innen wechseln bislang an ein Gymnasium), andererseits aber auch den bildungspolitischen Ansatz gemeinsames Lernen möglichst lange zu ermöglichen in einer Gemeinschaftsschule und so dem Ziel von Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zumindest näher zu kommen.
Zwei bekannte Expert:innen haben das Modell entwickelt
Wie diese neue, nach aktuellen Schätzungen rund 73 Millionen Euro teure, Schule aussehen könnte, das hatten Elke Großkreutz (sie baute die erste Gemeinschaftsschule in Konstanz auf) und Johannes Baumann (war 30 Jahre Schulleiter am Gymnasium Wilhelmsdorf und berät Schulen auch im Rahmen des Deutschen Schulpreises) vor der inhaltlichen Debatte kurz skizziert.
„Es braucht eine gemeinsame Schulleitung, ein gemeinsames pädagogisches Grundverständnis und eine einheitliche Schulkultur“, sagte Elke Großkreutz. Die Schule solle integrativ und inklusive arbeiten und alle Lernenden nach ihrem jeweiligen Niveau fördern, Übergänge zwischen den beiden Schultypen sollen fließend möglich sein. Und: Die Schule will sich explizit als Stadtteilschule verstehen. Sie soll offen sein für andere Nutzungen und will die Wohnbevölkerung vor Ort einbeziehen.
Grüne, CDU und Linke sind skeptisch
Soteria Fuchs von der Freien Grünen Liste (FGL) überzeugte all das nur bedingt: „Eine Mehrheit in unserer Fraktion sieht sehr wenige Vorteile dieses Schulverbunds gegenüber einer reinen Gemeinschaftsschule. Deshalb favorisieren wir eine 5-zügige Gemeinschaftsschule im Hafner“, sagte Fuchs. Sie fürchtete auch, dass es schwer sein könnte, eine:n geeignete:n Schulleiter:in für dieses neue Konzept zu finden.
Till Seiler sprach für die Minderheit der mal wieder gespaltenen FGL und lobte den Schulverbund als gute Lösung: „Wenn wir eine reine Gemeinschaftsschule im Hafner bauen, sehe ich die Gefahr einer Spaltung im Quartier. Wenn zum Beispiel bestimmte Familien ihre Kinder dann lieber auf Innenstadtgymnasien schicken“, sagte Seiler, der selbst als Lehrer in Singen arbeitet.
Lob kommt von Freien Wählern, SPD und Jungem Forum
Während Daniel Groß (CDU) ebenfalls skeptisch blieb („Wir wollen uns noch nicht festlegen auf den Schultyp.“), gab es vor allem von Freien Wählern, Jungem Forum Konstanz (JFK) und SPD viel Zuspruch für das neue Modell. „Wir finden die Lösung klasse, weil man damit den Elternwillen gut abbilden kann. Deshalb sollten wir mutig sein und den Modellversuch mittragen“, sagte Susanne Heiss (Freie Wähler).
Zahide Sarikas (SPD) lobte den neuen Verbund aus Gemeinschaftsschule und Gymnasium als „Schule der Zukunft“, die mehr Bildungsgerechtigkeit ermögliche. Ähnlich argumentierte Christine Finke (JFK): „Ich finde es gut, dass auch das Gymnasium als Ganztagsschule geplant wird, das könnte bei bildungsferneren Menschen die Angst vor dem Schultyp und den Aufwand, den die Betreuung von Hausaufgaben beispielsweise mit sich bringt senken. Ergebnis könnten bessere Bildungschancen für alle sein.“
Das sagt der Gesamtelternbeirat
Simon Pschorr (Linke Liste) bekannte, dass in seiner Fraktion der Mehrwert des neuen Schulverbundes nicht gesehen werde, wobei er sich von dieser Auffassung ausschloss. Er fürchte allerdings eine Zwei-Klassengesellschaft zwischen Gymnasiums-Abiturient:innen und Gemeinschaftsschul-Abiturient:innen. „Ich bin nicht sicher, ob die gymnasiale Oberstufe auch für die Gemeinschaftschüler:innen das passende Modell ist, schließlich haben sie jahrelang zuvor anders gelernt“, sagte Pschorr.
Unterstützung für das neue Modell kam hingegen von Petra Rietzler, der Vertreterin des Gesamtelternbeirats der Konstanzer Schulen: „Die Verbundschule ist eine tolle Lösung mit der wir auf einen Schlag viele Dinge gut machen können“, lobte sie.
Am Ende entscheidet das Land über die Ausrichtung
Ob diese neue Schule tatsächlich kommt, hängt maßgeblich vom Land ab. Dort werden die Entscheidungen über alle pädagogischen Fragen in der Bildung getroffen. Nach Angaben der Stadt gebe es vom Land positive Signale. Dort stehe man dem Schulverbund aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule nicht ablehnend gegenüber, dies solle aber „auf ministerieller Ebene“ weiter geprüft werden.
Das bestätigt Jochen Schönmann, Pressesprecher des baden-württembergischen Kulturministeriums, auf Nachfrage auch gegenüber karla: „Rechtlich gesehen ist ein solcher Schulverbund aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule möglich.“ Allerdings gebe es keine gemeinsame Oberstufe der beiden Schultypen: „Die Oberstufe ist einer Schulart, vermutlich dem Gymnasium, zugeordnet. Das bedeutet, es würden also hinsichtlich der Voraussetzungen für die Aufnahme in die Oberstufe dann auch nicht die Regeln für die gymnasiale Oberstufe einer Gemeinschaftsschule gelten!“
Auf die Frage, ob das Land denn grundsätzlich ein solches Modell unterstützen würde, will sich Schönmann nicht festlegen: „Solche weitergehenden Fragen können erst in Ansehung des konkreten Verbundantrags beantwortet werden.“
Warum die Zeit drängt
Auch angesichts der vermutlich langwierigen Genehmigungsverfahren beim Land wies Frank Schädler vom städtischen Amt für Bildung und Sport nochmal auf den Zeitdruck hin. „Zehn Jahre Planungs- und Bauzeit sind bei Schulen mittlerweile realistisch, wir müssen es jetzt in sieben Jahren schaffen. Auch deshalb können wir uns keine Verzögerung mehr erlauben“, sagte er vor dem Bildungsausschuss. Bis 2030 müsse die neue Schule im Hafner fertig sein, weil dann voraussichtlich auch die ersten Familien ins Quartier ziehen.
Am Ende stimmte der Ausschuss mehrheitlich (Dafür: 14; Dagegen: 4; Enthaltungen: 6) für den neuen Schulverbund. Die Planungen können also den nächsten Schritt nehmen.
Gute Nachrichten gab es am Dienstagabend auch für die Grund- und Werkrealschule im Berchengebiet. Sie wird nicht nur erhalten, die Werkrealschule soll auch erweitert werden. Für den Erweiterungsbau gibt es bereits eine Machbarkeitsstudie, so dass der Bau in die Umsetzungsphase gehen kann.
Erweiterungsbau der Scholl-Schule endgültig gekippt
Verliererin des Abends war die Geschwister-Scholl-Schule. Obwohl Schulleiter Thomas Adam vor dem Gremium noch mal für eine Erweiterung seiner Schule aus Gymnasium und Realschule warb, entschied der Ausschuss am Ende mit knapper Mehrheit die lange geplante Erweiterung endgültig zu kippen.
Zum einen waren die kalkulierten Kosten für den Bau zuletzt von 28 auf 35 Millionen Euro gestiegen. Zum anderen waren die Schüler:innen-Zahlen im gymnasialen Bereich der Schule zuletzt eher zurückgehend. Der wachsende Bedarf an gymnasialen Schulplätzen soll demnach nun vor allem in der neuen Schule am Hafner gedeckt werden.
Alle jetzt beschlossenen Maßnahmen sind auf Grundlage eines neuen Gutachtens zur Schulentwicklungsplanung entschieden worden. Die GUS Planungsgruppe aus Stuttgart hatte die Lage an den Konstanzer Schulen dafür intensiv unter die Lupe genommen, demographische Entwicklungen sowie den Raumbedarf analysiert und auf dieser Basis verschiedene Empfehlungen ausgesprochen. Die daraus entstehenden finanziellen Folgen schätzte das Institut auf rund 125 Millionen Euro.
Wie geht es mit den Sporthallen weiter?
Allerdings sind hier längst nicht alle notwendigen Investitionen im Schulbau berücksichtigt. Auf 226 Millionen Euro hatte die Stadt Konstanz im vergangenen Jahr den Investitionsbedarf in Schulen und von Schulen genutzte Sporthallen kalkuliert. Und dabei waren energetische Sanierungen in Folge des ausgerufenen Klimanotstands nicht eingerechnet.
Angesichts eines klammen städtischen Haushalts stellt sich die Frage, wie das alles gestemmt werden kann. Weil zudem auch die Sporthallen wichtig bleiben, wie Frank Schädler betont: „Sporthallen sind immer auch notwendiger Schulraum, von daher verfolgen wir beide Bereiche mit gleich hoher Priorität weiter.“
Dazu kommt: Die derzeit vorliegenden Zahlen zu den Kosten sind nur Schätzungen: „Die verschiedenen Kostenschätzungen zu den anstehenden Maßnahmen im Schul- und Sportbereich sind aktuell noch nicht belastbar. Die anhaltenden Kostensteigerungen im Baugewerbe allein lassen ohne konkrete Planung keine verlässliche Schätzung der Kosten zu“, räumte Frank Schädler vom städtischen Amt für Bildung und Sport auf Nachfrage ein.
Das Problem: Die Stadt kann gar nicht so viel bauen wie sie müsste
Die Herausforderung wird weiter dadurch verschärft, dass die Stadt pro Jahr ohnehin nur eine begrenzte Zahl von Bauprojekten auch wirklich realisieren kann. Bislang galt die inoffizielle Regel, dass mehr als 20 Millionen für Bauprojekte (und das meint nicht nur Schulbauprojekte, sondern alle Bauvorhaben der Stadt) nicht möglich sind. Größter beschränkender Faktor hier ist die dünne Personaldecke im Hochbauamt. Mehr als 20 Millionen Euro können die Mitarbeiter:innen gar nicht abarbeiten.
Priorisierungsliste soll bis Sommer 2024 stehen
All das bedeutet: Die Politik ist gezwungen zu priorisieren. Dies soll in den nächsten Monaten geschehen. Wie genau das gehen soll? „Es müssen Zusammenhänge verdeutlicht werden, die auch der Politik die Sicherheit geben, Maßnahmen sinnvoll gebündelt in notwendiger Reihenfolge abzuarbeiten. Die Wirkung der einzelnen Maßnahmen hinsichtlich Sicherheit, CO²-Einsparpotenzial und Raumerschließung muss deutlich und in Relation zu den jeweiligen Investitionssummen bewertet werden“, erklärt Frank Schädler, Leiter des städtischen Amts für Bildung und Sport gegenüber karla. Diese Liste soll im Sommer 2024 „in groben Zügen fertig sein“, so Schädler.
In die Haushaltsberatungen 2025/2026 gehen die Schulbauprojekte dann in Konkurrenz zu vielen anderen städtischen Bauprojekten. Ausgang: ungewiss.