Warum wir mehr auf unsere Kinder hören müssen

Wer nicht mitbestimmen kann, verliert das Vertrauen in Demokratie. Deshalb müssen Schüler:innen mehr Möglichkeiten bekommen Schule mitzugestalten. Von der Schulhofgestaltung bis zum Lehrplan.
Demokratie lernt man nur, wenn man es ausprobiert. Deshalb müssen Schüler:innen mehr mitbestimmen dürfen über Themen ihrer Schule.

Seit Jahren geht das jetzt schon so: Jugendstudie um Jugendstudie belegt vor allem eines – junge Menschen fühlen sich nicht gehört. Für uns als Gesellschaft ist das ein Riesenproblem. Menschen, die sich nicht wahrgenommen fühlen im öffentlichen Diskurs, werden unzufrieden und wenden sich irgendwann ab. Wenn wir nicht noch mehr junge Menschen an Rechtspopulisten verlieren wollen (zuletzt sagten 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, sie würden AfD wählen), dann müssen wir jetzt gegensteuern.

Die Wahrheit ist: Es braucht mehr Demokratie an unseren Schulen. Nicht nur in der Theorie im Geschichtsunterricht, sondern ganz praktisch. Schließlich lernen und verinnerlichen wir vor allem das, was wir selbst ausprobiert und erfahren haben.

Echte Mitbestimmung? Findet kaum statt

Die bisherigen Möglichkeiten dazu sind auch in Konstanz eher dürftig. Natürlich gibt es die Organisation der Schülermitverantwortung (SMV) oder selbst verwaltete Schüler:innen-Cafés und auch in der Schulkonferenz haben Schüler:innen eine Stimme. Aber auf die wirklichen Pain Points unseres Bildungssystems haben sie kaum Einfluss: die Unterrichtsinhalte, die Form der Vermittlung, die Auswahl und Ausbildung der Lehrer:innen, die Ausstattung und Schwerpunkte jeder einzelnen Schule.

Kita, Schule, Erziehung, Pflege, Freizeit – Familienpolitik betrifft fast alle Menschen in Konstanz. Deshalb widmen wir uns diesen Themen künftig verstärkt in einem themenspezifischen Newsletter. Er heißt „familie mit k“ und erscheint alle 14 Tage donnerstags. Du kannst ihn hier kostenlos abonnieren.

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Das sieht im Prinzip auch Patrick Hartleitner so. Er ist nicht nur Schulleiter des Suso-Gymnasiums, sondern vertritt auch alle anderen Konstanzer Gymnasien gegenüber der Politik. Er sagte mir neulich: „Die Chancen für Schülerinnen und Schüler, den Schulalltag mitzugestalten, sind im Moment noch überschaubar.“ Er würde das gerne ändern, trifft aber auf Hürden. Dies seien nicht nur die fehlenden Möglichkeiten, sondern auch die Schüler:innen selbst: „Partizipation bedeutet auch, dass man sich einbringen muss, Zeit und Energie aufwenden muss. Bislang stoße ich da auf eher verhaltenes Interesse bei Schülerinnen und Schülern“, sagt Hartleitner.

Österreich macht’s vor

Das liegt vielleicht gar nicht so sehr am Desinteresse der jungen Menschen, sondern eher in den Formen der Mitbestimmung, die bislang möglich sind. Sie sind schlicht noch nicht auf die Bedürfnisse und Kompetenzen der heutigen Schüler:innen eingestellt.

Wie es besser geht, zeigt ein Beispiel aus Österreich. Unter dem Namen #DemokratieMachtSchule ist es der Organisation Youth Empowerment Participation (YEP) gelungen, das österreichische Bildungsministerium davon zu überzeugen, dass es klug ist, Schüler:innen bei der Gestaltung von Lehrplänen einzubinden. Mehr als 20.000 junge Menschen haben sich inzwischen beteiligt, das Projekt läuft noch bis Anfang 2025, aber erste Ergebnisse gibt es schon für die kaufmännischen Schulen in Österreich.

Was Schüler:innen wirklich wollen

Demnach wünschen sich Schüler:innen einerseits mehr Mitbestimmung und Transparenz bei Unterrichtsinhalten, kleinere Gruppen und fächerübergreifendes Lernen. Andererseits wollen sie Unterrichtsinhalte, die sie besser auf das Leben nach der Schule vorbereiten. Dazu zählen sie beispielsweise mehr Kompetenzvermittlung im Hinblick auf Versicherungen, Vorsorge oder Verträge sowie einen stärkeren Fokus auf Alltagssprache (im Englisch-Unterricht) oder realitätsnahe Texte wie E-Mails und Bewerbungsunterlagen (im Deutsch-Unterricht).

Zudem möchten sie anhand und über aktuelle Themen lernen und sich politisch (weiter-)bilden. Sie wollen außerdem, dass persönliche Talente gefördert und neue Technologien im Lehrplan behandelt werden.

Nach Abschluss des Projektes sollen die Wünsche der Schüler:innen tatsächlich in die österreichischen Lehrpläne einfließen. Ohne eine solche direkte Wirkung würde der Prozess scheitern, hatte Rebekka Dober, Gründerin von YEP, in einem Online-Vortrag neulich gesagt. Und: „Demokratie ist ein so großes Konzept, das kann man nur erlernen, wenn man es spürt und selbst erlebt.“

Wie Digitalisierung Beteiligung ermöglicht

Ähnlich denkt auch Marina Weisband. Im vergangenen Jahr hat sie mir von ihrer digitalen Beteiligungsplattform „aula“ erzählt. Damit können Schüler:innen Veränderungsprozesse an ihrer Schule anstoßen und gemeinsam daran arbeiten, dass sie auch umgesetzt werden. Weisband sagt: „Junge Menschen brauchen einen Rahmen, in dem sie Verantwortung tragen können.“

Denn: „Wenn Personen nicht lernen, dass sie etwas ändern können, haben sie das Gefühl, machtlos zu sein. Ist das bereits an Schulen so, führt das zu einer erlernten Hilflosigkeit, die nicht gut ist für unsere Gesellschaft.“

Demokratie ist mehr als immer recht zu bekommen

Das Modell scheint zu wirken: An Schulen, die „aula“ nutzen, gaben 72 Prozent aller Schüler:innen an, dass sie „stärker das Gefühl haben, Dinge verändern zu können”. Vielleicht wäre das ja mal ein Anlass, über eine Einführung auch in Konstanz nachzudenken. 😉

Übrigens: Weder bei dem österreichischen Modell #DemokratieMachtSchule noch bei Marina Weisbands „aula“ geht es darum, dass Schüler:innen immer ihre Meinung durchsetzen. Es geht vielmehr darum, sich auszutauschen, andere Meinungen auszuhalten, zu diskutieren und Mehrheiten zu finden – eben Demokratie ein- und auszuüben.

Die jüngst beschlossene Bildungsreform der Landesregierung wäre ein guter Moment, das auch hier auszuprobieren. Ach, halt. Wir sind ja in Baden-Württemberg. Schüler:innenbeteiligung spielt in den aktuellen Plänen von Grünen und CDU keine Rolle.