Wenn ihr euch eine Traumschule bauen könntet, wie sähe die aus?
Christian Hack: Es gibt eine Sache, die wäre cool, wenn sie umgesetzt werden könnte: kleinere Klassen. Ich merke jetzt gerade, wie unglaublich toll es ist, in kleinen Gruppen zu lernen. Ich habe Kurse im Moment, wo wir zu zehnt sind. Und ich merke einfach, wie viel direkter dieser Unterricht ist und auch wie viel mehr man da mitnimmt und sich angesprochen fühlt. Ich erinnere mich noch, dass ich in der fünften Klasse mit 31 anderen Schülern saß. Und da funktioniert lernen dann einfach nicht mehr so gut.
Sophia Brunner: Das stimmt, sehe ich auch so. Gerade im Teenageralter ist es einfach wichtig, eine individuelle Förderung zu bekommen. Und das können Lehrer halt nun mal nicht leisten, wenn sie eine Klasse von 30 Schülern vor sich haben. Da geht man als Individuum oft unter. Besonders, wenn man jetzt nicht die lauteste oder selbstbewussteste Person ist. Kleinere Klassen wären auch die Chance für Lehrer, Schüler individuell mehr zu fördern. Dass die Leute, die besonders gut sind, auch zusätzlich irgendwas machen können, damit sie sich nicht im Unterricht langweilen. Und die Leute, die eher ein bisschen leistungsschwächer in einem Fach sind, die Themen genauer erklärt bekommen.
Christian Hack: Wenn man von Anfang an mehr in den Unterricht einbezogen wird und man wirklich Leistung erbringen muss, dann kommt man auch weg von dem Bulimielernen. Also, dass man Sachen für Klausuren auswendig lernt, sie dort wiedergibt und dann nach der Arbeit sofort wieder vergisst. In einem kleinen Kurs fällt es auf, wenn man nur hinten drin sitzt und nichts macht. Man spart sich dann auch den Stress vor einer Klassenarbeit. Und denkt nicht: ‚Oh Mist, was habe ich gemacht die letzten Wochen?‘ Sondern man ist direkt voll drin und muss die Leistung erbringen, hat dann aber auch einen Plan vom Thema.
„In zu großen Klassen geht man als Individuum oft unter. Besonders, wenn man jetzt nicht die lauteste oder selbstbewussteste Person ist.“
Sophia Brunner, 18, 12. Klasse, Schülersprecherin
Christian Duffner: Und das Allerwichtigste an meiner Traumschule: Lehrer, die ihre Schüler sehr gut fördern, die wirklich Spaß an ihrem Beruf haben.
Was braucht eine gute Schule noch neben kleineren Klassen und guten Lehrern?
Christian Duffner: Was ich super fände, wäre mehr Flexibilität im Lehrplan. Also gerade in Physik oder in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, da kommen oft Fragen, die mich interessieren, bei denen die Lehrer dann aber sagen: ‚Schön und gut, aber wir haben jetzt keine Zeit dafür. Wir müssen uns an den Lehrplan halten, dass wir das durchkriegen.’ Eigentlich müsste man den Lehrern mehr Zeit geben, auf solche oder auch ganz aktuelle Fragen einzugehen. Weil, wenn mich das interessiert, interessiert das ja vielleicht auch ein paar andere in der Klasse.
Sara Mahmudi: Darf ich ganz kurz was dazu sagen? Also ich schließe mich Christian da vollkommen an. Im WBS-Unterricht, also Wirtschaft-, Berufs- und Studienorientierung, machen wir das seit Neuestem so, dass jede Woche ein Schüler fünf Minuten über ein ihm oder ihr wichtiges aktuelles Thema reden kann. Ganz unabhängig davon, ob es auf dem Lehrplan steht oder nicht. Das finde ich super.
„Ich fühle mich jedenfalls immer cooler, wenn ich Unterricht in einem Neubau habe, wo die Möbel moderner sind. Das Auge macht was mit einem. Ich habe dann auch mehr Motivation zu lernen in einer schönen Umgebung.“
Christian Duffner, 17, 12. Klasse, Schülersprecher
Christian Duffner: Was man nicht vergessen darf: Ich finde eine moderne Ausstattung ebenfalls noch wichtig. Bequeme Stühle, vielleicht höhenverstellbare Tische. Das gibt’s doch in vielen Büros auch, warum nicht auch in den Schulen? Ich fühle mich jedenfalls immer cooler, wenn ich Unterricht in einem Neubau habe, wo die Möbel moderner sind. Das Auge macht was mit einem. Ich habe dann auch mehr Motivation zu lernen in einer schönen Umgebung. Ein attraktives Angebot auf dem Schulhof wäre auch cool. So dass man sich da immer gerne aufhält.
Sophia Brunner: Moderne Ausstattung ist auch für mich ein Riesenfaktor. In vielen Ländern, zum Beispiel in Schweden, ist man da längst weiter. Aber hier in Deutschland wird leider zu wenig in so etwas investiert.
Sara Mahmudi: Zu einer guten Schule gehören für mich auch Projekte, wie wir sie hier am Humboldt schon machen. Zum Beispiel die Pfandflaschensammler. Schüler:innen sammeln herumliegende Pfandflaschen ein und das dadurch eingenommene Geld kommt der Schüler:innenmitvertretung (SMV) zugute. Davon können wir dann zum Beispiel so etwas umsetzen wie kostenlose Hygieneartikel auf den Mädchentoiletten. So etwas finde ich megawichtig.
Christian Duffner: Ich habe noch einen Vortrag im Kopf, bei dem die Person meinte – und der Meinung bin ich auch -, dass es an Schulen auch vermehrt darum gehen soll, nicht mehr nur Aufgaben mit dem Buch zu lösen. Denn Probleme aus dem Unterricht sind in kürzester Zeit mit Hilfe vom Internet, auch immer mehr von der KI, zu lösen. Wichtiger finde ich, dass man den Umgang mit ChatGPT lernt, um möglichst zuverlässige Antworten zu bekommen. Der richtige Umgang mit Tools wie Word, Excel und KI ist ein echter Gewinn fürs (Arbeits-)Leben. Jedoch muss da ein gesundes Gleichgewicht herrschen. Denn Kritiker sagen, die Menschheit verblödet immer mehr durch KI.
Weil gerade alle wieder darüber diskutieren und Baden-Württemberg nun ein neues Modell für das neunjährige Abitur entwickeln will. Was findet ihr besser: G8 oder G9?
Christian Duffner: Ganz klar G9. Denn wir sehen selbst, dass viele vom Gymnasium auf die Gemeinschaftsschule wegen G9 wechseln. Dort erhalten sie ein gleichwertiges Abitur, jedoch mit einem Jahr mehr Zeit und anderen Lernkonzepten, die nur durch diese Zeit möglich sind.
Sara Mahmudi: Was für G9 spricht: Bei gleichem Stoff, gibt es mehr Zeit diesen zu lernen. Das bedeutet weniger Stress für Schüler und Lehrer. Das wäre auch deshalb gut, weil immer mehr Schüler:innen unter diesem Druck Depressionen und mentale Zusammenbrüche erleiden.
Christian Duffner: Außerdem würde durch mehr Zeit bis zum Abitur auch unsere Wunschvorstellung realisierbar, dass Lehrer mehr Spielraum im Lehrplan für aktuelle Themen haben sollten.
Blicken wir auf die Gegenwart: Findet ihr, dass euch an eurer Schule Freude am Lernen vermittelt wird, oder geht es nur darum, Dinge auswendig zu lernen?
Sophia Brunner: Das ist superschwer pauschal zu beantworten, weil die Unterrichtsgestaltung brutal lehrerabhängig ist. Manche machen es gut, andere eher nicht.
Christian Hack: Ich sehe grundsätzlich eine positive Entwicklung. Es gibt immer wieder neue Lehransätze, auch mit neuen digitalen Tools. Mein Gefühl ist – da bewegt sich was.
Sara Mahmudi: Ich merke das vor allem bei den jungen Lehrern, die an unsere Schule kommen. Die bemühen sich richtig, auch verschiedene Lernmethoden anzubieten. Mal mit Bildern, Filmen oder Texten oder Zusammenfassungen von Inhalten. Die probieren vieles aus und schauen, womit wir uns am wohlsten fühlen und nach welcher Methode wir besser lernen können. Viele der älteren Lehrer sind noch sehr fixiert auf diese eine Lehrmethode, nach der sie bereits seit Jahrzehnten arbeiten. Das finde ich schade.
„Viele der älteren Lehrer sind noch sehr fixiert auf diese eine Lehrmethode, nach der sie bereits seit Jahrzehnten arbeiten. Das finde ich schade.“
Sara Mahmudi, 15, 10. Klasse, Schülersprecherin
Ist es also tatsächlich eine reine Generationenfrage, wie gut der Unterricht ist?
Christian Hack: So pauschal kann man es auch nicht sagen. Es gibt auch einige der älteren Lehrer, die sich um einen abwechslungsreichen Unterricht bemühen. Aber klar ist, der Aufschwung, der Impuls kommt von der jüngeren Lehrergeneration.
Ihr verbringt sehr viel Zeit an der Schule, da wäre es nur gerecht, wenn ihr die Gelegenheit hättet, diesen Ort mitzugestalten. Ist das an eurer Schule möglich?
Sophia Brunner: Das kommt ein bisschen drauf an. Eher machtlos fühle ich mich, wenn es einen Konflikt mit einem Lehrer gibt. Schüler sind abhängig von den Lehrern, weil sie gute Noten brauchen. Da kann ein Konflikt schnell persönlich werden und sich auf die Noten eines Schülers auswirken, wenn man zu laut Kritik übt. Gleichzeitig ändert sich aber auch nichts, wenn man versucht, über die Eltern oder die Schulleitung etwas im Hinblick auf einen Lehrer zu verändern. Da passiert meistens nichts, weil Lehrer einfach sehr viel seltener entlassen werden, als das in anderen Berufen der Fall ist. Es muss schon viel passieren, bis sich eine Schule entschließt, einen Lehrer versetzen zu lassen.
„Ich fühle mich oft machtlos, wenn es einen Konflikt mit einem Lehrer gibt.“
Sophia Brunner, 18, 12. Klasse, Schülersprecherin
Sara Mahmudi: Das kann ich bestätigen. Meine Klasse hatte mal ein Riesenproblem mit einer Lehrerin und ich habe versucht, das Problem zu lösen. Habe mit dem Direktor gesprochen, sämtliche Eltern haben bei dem Direktor angerufen, dass es einfach nicht funktioniert mit dieser Lehrerin. Aber geändert hat sich danach rein gar nichts, außer dass die Stimmung zwischen der Lehrerin und der Klasse noch schlechter wurde durch die geäußerte Kritik.
Gibt es auch Momente, in denen ihr denkt, dass sich euer Engagement in der Schülervertretung lohnt?
Christian Hack: Ja. Ich bin jetzt im ersten Jahr dabei und habe schon den Eindruck, dass man was bewegen kann. Wir planen Veranstaltungen für die Schüler, bei denen uns die Schule unterstützt, wir haben eine Stimme in der Schulkonferenz und repräsentieren dort die Schülerschaft. Deshalb finde ich, wenn man sich bemüht und sich einbringt, dann kann man auch etwas verändern. Jedenfalls mehr als wenn man immer nur meckert.
„Wenn man sich bemüht und sich einbringt, dann kann man auch etwas verändern. Jedenfalls mehr als wenn man immer nur meckert.“
Christian Hack, 16, 11. Klasse, Schülersprecher
Sophia Brunner: Wir können zwar nicht grundlegend das Schulsystem oder die Unterrichtsgestaltung ändern, aber wir können unseren Teil dazu beitragen, dass die Schule ein Ort wird, an dem man sich wohlfühlt. Sei es über Partys, die Wasserspender, die wir aufgestellt haben, oder andere infrastrukturelle Dinge.
Sara Mahmudi: Schule ist eben nicht nur ein Lernort. Für uns ist Schule auch ein zweites Zuhause. Und den wollen wir mit und für alle Schüler möglichst schön gestalten.
Christian Duffner: Ein gutes Beispiel dafür: Unsere Vorgänger haben den Oberstufenraum bei uns eingeführt. Der ist einfach sehr nice, weil die 11. und 12. Klassen können jederzeit da rein. Da gibt es eine Mikrowelle, richtig bequeme Stühle, Sofas, einen Tischkicker. Ich bin eigentlich fast jeden Tag dort. Das ist ein wirklich toller Ort für die Oberstufe.
Viele Schüler klagen über den Leistungsdruck an den Schulen, manche sagen gar, die Schule mache sie krank. Seht ihr das auch so?
Christian Hack: Der Leistungsdruck ist immer da. Ich weiß, dass es Schüler gibt, für die das ein Problem ist. Für mich persönlich ist der Druck aber aushaltbar. Ehrlich gesagt, spornt mich das auch ein Stück weit an. Wäre da jetzt gar kein Druck, dann glaube ich auch, dass sich die Abschlüsse und die Notendurchschnitte an den Schulen verschlechtern würden.
Sophia Brunner: Dieser Leistungsdruck kommt nicht von der Schule, sondern der ist ein gesellschaftliches Phänomen. Das endet auch nicht mit der Schulzeit. In der Ausbildung, im Studium oder im Berufsalltag gibt es ja wieder Druck, weil man irgendwelche Erwartungen an sich selbst hat oder Erwartungen an einen von außen gestellt werden. Die Schule selbst übt keinen Druck auf mich aus, dass ich jetzt überall eine Eins haben muss, sondern anhand der Noten versucht die Schule erst mal nur, eine Leistung zu messen und darzustellen. Aus meiner Sicht wäre eine Lösung des Problems nicht, in der Schule weniger mit Noten zu arbeiten oder weniger Druck zu erzeugen, sondern wir sollten in der gesamten Gesellschaft daran arbeiten, dass nicht jeder Mensch auf eine akademische Weise super leistungsfähig sein muss, dass es vielleicht auch Menschen gibt, die andere Kompetenzen haben, und dass das auch völlig okay ist.
„Aus meiner Sicht wäre eine Lösung des Problems nicht, in der Schule weniger mit Noten zu arbeiten oder weniger Druck zu erzeugen, sondern wir sollten in der gesamten Gesellschaft daran arbeiten, dass nicht jeder Mensch auf eine akademische Weise super leistungsfähig sein muss.“
Sophia Brunner, 18, 12. Klasse, Schülersprecherin
Sara Mahmudi: Wenn man sich selbst das Ziel setzt, gute Noten zu haben, dann finde ich schon, dass es ohne einen gewissen Leistungsdruck nicht geht. Ich persönlich jedenfalls brauche das. Ich brauche Druck, zu lernen, quasi diese gewisse Angst, wobei nicht Angst, sagen wir eher den Respekt davor, dass man Sachen lernt und dann auch nach der Klassenarbeit noch im Kopf behält.
Sophia Brunner: Man sieht den Nutzen des Drucks schon ganz praktisch: Wenn Lehrer Hausaufgaben zum Beispiel nicht kontrollieren, ist kein Druck dahinter und viele haben dann keinen Anreiz; sie zu erledigen.
Ist das, was ihr an der Schule lernt, eigentlich noch zeitgemäß, oder wünschtet ihr euch manchmal Fächer, die euch mehr aufs Leben vorbereiten als sagen wir mal eine mathematische Kurvendiskussion?
Sophia Brunner: Ich weiß nicht. Wir sind hier an einer allgemeinbildenden Schule. Das bedeutet, dass auch später im Prinzip davon ausgegangen werden muss, dass jemand, der von so einer Schule kommt, eine gewisse Basis an Kompetenzen hat. Egal ob man jetzt gut in dem Fach ist oder nicht, sollte man da dann auch mit einer gewissen Kompetenzbasis rausgehen, also einigermaßen rechnen und schreiben können. Dieses Bulimielernen, ob man das jetzt gemacht hat oder nicht, ist gar nicht so entscheidend, weil man in der Schule bestimmte Kompetenzen erlangt hat: Wie lerne ich auswendig? Wie schreibe ich einen guten Text? Wie argumentiere ich? Wie analysiere ich etwas, was jemand anderes gesagt hat? Also alles Dinge, die man nachher braucht, wenn man nach der Schule die Möglichkeit hat, sich mehr mit den Dingen zu beschäftigen, für die man sich wirklich interessiert.
Christian Hack: Es gibt oft diese Diskussion, warum lernen wir nicht in der Schule zum Beispiel, wie man eine Steuererklärung schreibt oder so. Das habe ich ganz oft gehört aus meinem Umfeld. Aber für mich hat die Schule die Aufgabe, und das tut sie, uns dazu zu bringen, dass wir eine Hochschulreife erhalten und damit später studieren können. Und dazu gehört allgemeine Bildung. Dazu gehört auch, dass man in Musik weiß, wie man Noten liest, ein gewisses Allgemeinwissen über Künstler, Epochen und Genres hat, sodass man eben auch darauf vorbereitet ist, falls man später mal Musik studieren will. Insofern finde ich es schwierig zu sagen, wir brauchen jetzt neue pragmatischere Schulfächer, weil dadurch vielleicht auch die eigentliche Intention eines allgemeinbildenden Gymnasiums verloren geht.
„Für mich hat die Schule die Aufgabe, uns dazu zu bringen, dass wir eine Hochschulreife erhalten und damit später studieren können. Und dazu gehört allgemeine Bildung.“
Christian Hack, 16, 11. Klasse, Schülersprecher
Christian Duffner: Ich glaube auch nicht, dass wir unbedingt neue Fächer brauchen. An unserer Schule gibt es schon verschiedene Wahlfächer, die man nach Interesse wählen kann. Ich habe Literatur und Theater gewählt, wo ich lerne, meine Körpersprache zu verändern und vor Leuten zu reden. Durch diese Wahlfächer lernt man auf jeden Fall was fürs Leben. Was ich grundsätzlich wichtig finde: Man hat an der Schule oft das Gefühl, okay, ich bin hier, ich muss alles lernen. Man sollte aber eher denken, okay, ich bin hier, ich darf alles lernen oder ich habe die Möglichkeit, mir alles Wissen anzueignen. In manchen Fächern bleibt bei mir jetzt eher weniger hängen. Ich nehme aber trotzdem etwas mit, anstatt dass ich gar nichts darüber lerne. Für mich passt es, wie es ist, weil ich mein Mindset geändert habe. Ich denke mir nicht, okay, ich muss es jetzt lernen, sondern okay, ich habe die Chance, es zu lernen. Und wenn ich da jetzt keine Eins schreibe, dann ist das auch nicht schlimm.
Sophia Brunner: Ich finde, man muss sich an der Stelle auch die Frage stellen, ob Schule wirklich immer alle Bereiche des Lebens abdecken muss. Ich meine, klar, wir verbringen einen großen Teil unserer Zeit hier. Aber ich denke nicht, dass man in der Schule alles lernen muss, zum Beispiel kochen oder auch das Thema Wirtschaft.
Sara Mahmudi: Also, Wirtschaft finde ich schon wichtig.
Sophia Brunner: Vielleicht muss aber auch nicht jeder was von Wirtschaft verstehen. Und wer Interesse daran hat, der hat jederzeit in seiner Freizeit oder mit unseren AGs, mit den ganzen Wahlfächern die Möglichkeit, das zu machen. Vielleicht ist es auch der falsche Weg zu sagen: Ja, das und das muss man aber auch noch können, und den Schülern das dann so ein bisschen aufzuzwingen, nur weil es irgendwie wichtig ist. Wir lernen jetzt schon so viel, worauf wir nicht unbedingt Lust haben. Vielleicht wäre es klug, dass man da einfach mehr Verantwortung an die Schüler selbst abgibt. Dass sie das lernen, was sie interessiert, was sie für sinnvoll halten, dass sie sich auch selber darum kümmern, das zu lernen. Gerade in Zeiten des Internets hat ja jeder die Möglichkeit, wenn er sich für irgendwas interessiert, es auch zu lernen.
„Vielleicht wäre es klug, dass man da einfach mehr Verantwortung an die Schüler selbst abgibt. Dass sie das lernen, was sie interessiert, was sie für sinnvoll halten, dass sie sich auch selber darum kümmern, das zu lernen.“
Sophia Brunner, 18, 12. Klasse, Schülersprecherin
Das Thema Noten klang vorhin schon mal an. Mein Eindruck da war, ihr findet Noten eigentlich gut. Stimmt das?
Christian Hack: Ja, finde ich schon. Noten geben einem Ansporn und geben einem ja auch Rückmeldung, was ich kann und was nicht. Nur darf man dann nicht diesen Fehlschluss ziehen, dass die Noten irgendwas darüber aussagen, wie intelligent ich bin. Aber die Noten sind letztendlich auch das, wofür die Schüler lernen. Daher sind sie für mich essenziell im Schulalltag.
Sophia Brunner: Ich denke, es gibt auch keine wirkliche Alternative. Warum wollen wir gute Noten? Weil wir dann möglichst gute Chancen haben, beruflich das machen zu können, wofür wir uns interessieren. Und da braucht man auch irgendeine Messbarkeit. Wenn man als Unternehmen irgendwen einstellt oder als Uni irgendwen annimmt, muss man auch wissen, wen man da bekommt. Am Ende geht es auch um Leistungsgerechtigkeit. Also wenn es keine Noten gäbe und alle bekommen einfach dann am Schluss irgendwie ein „Bestanden“ aufs Abitur, dann gibt es natürlich Leute, die haben viel mehr Ambition gezeigt und haben sich viel mehr angestrengt und werden dafür nicht mal in irgendeiner Hinsicht belohnt.
Sara Mahmudi: Ich habe auch viele Schüler gehört, die meinten, Schule wäre zehntausendmal besser ohne Noten, ohne Klassenarbeiten. Dann frage ich mich aber, wie stellt man sich das vor? Eine Note ist eine gewisse Reflexion, wie du in einem bestimmten Fach gerade stehst. Das kann auch bei der Orientierung helfen. Wenn du eine schlechte Note in einem Fach hast, dann musst du ja nicht direkt das Fach abschreiben und sagen, es ist nicht mein Fach. Sondern du weißt, aha, okay, ich habe eine schlechtere Note, ich könnte mich da vielleicht mehr anstrengen und besser werden. Da muss man dann auch an dem eigenen Mindset arbeiten.
„Eine Note ist eine gewisse Reflexion, wie du in einem bestimmten Fach gerade stehst. Das kann auch bei der Orientierung helfen.“
Sara Mahmudi, 15, 10. Klasse, Schülersprecherin
Sophia Brunner: Noten sollten primär eine Orientierung sein und weniger dieses krankhafte Verhalten pushen, dass man überall die beste Note haben muss.
Ich möchte mit euch noch über ein anderes Thema reden: Vor drei Jahren ist die Corona-Pandemie ausgebrochen, die Schulen waren monatelang geschlossen. Viele sagen, die Folgen daraus werden uns noch jahrzehntelang beschäftigen. Was hat die Pandemie mit euch gemacht?
Christian Duffner: Ich hatte eigentlich eine gute Zeit während Corona. Ich bin kurz vor dem Unterricht aufgestanden, habe mein Laptop aufgemacht, bin in den Unterricht und parallel in den Call. Danach habe ich den ganzen Tag mit meinen Freunden auf Discord geredet und gespielt. Es war geil.
Ist vom digitalen Unterricht was hängen geblieben?
Christian Duffner: Ich habe vor ein paar Wochen in Mathe gemerkt: Ein Thema aus dem Homeschooling habe ich nicht verstanden. Das muss ich jetzt alles nacharbeiten.
Sophia Brunner: Den Schülern wurde damals auf einmal sehr viel Eigenverantwortung an die Hand gegeben, ob sie jetzt aufpassen oder nicht, Aufgaben erledigen oder nicht. Für uns, in unserem Alter, hatte die Pandemie im Hinblick auf das Soziale nicht so gravierende Folgen, weil wir die Chance hatten, Selbstverantwortung zu übernehmen oder eben auch nicht. Und auch die Möglichkeit hatten, gerade mit Handys, Laptops und allem, mit unseren Freunden wirklich guten Kontakt zu pflegen. Ich glaube, dass es die jüngeren Schüler deutlich mehr getroffen hat. Viele, die damals in der zweiten, dritten, vierten Klasse waren, die können jetzt nicht richtig schreiben. Wenn sie es im Homeschooling nicht richtig gelernt haben, dann fehlt da einfach die Basis.
Christian Hack: Ich habe da nicht wirklich einen Unterschied gemerkt, wie man miteinander umgegangen ist. Ich glaube aber, es hat schon ein bisschen auch die Wahrnehmung von Krankheit von so manchen Leuten verändert. Man ist auch danach vielleicht schneller mal zu Hause geblieben, wenn man irgendwie ein bisschen krank war. Aber was ich auch bemerkt habe, ist, dass sich bei manchen Lernrückstände aufgebaut haben. Da fehlen Grundlagen, vor allem auch in den Sprachen. Es bringt einem nichts, wenn man die Grammatik auswendig kann, wenn man sie nicht anwendet. Und zumindest bei uns wurde nicht kontrolliert, wer denn wirklich da ist. Man konnte sich immer mit einem technischen Problem oder sonst was rausreden, wodurch eigentlich auch nicht sichergestellt war, dass die Person überhaupt im Raum ist, mit der man gerade spricht. Da wurde einem diese Eigenverantwortung gegeben. Die haben aber viele nicht wahrgenommen und die merken jetzt auch, dass ihnen da einfach dieses Jahr fehlt.
„Bei uns wurde im Homeschooling-Unterricht nicht kontrolliert, wer denn wirklich da ist. Man konnte sich immer mit einem technischen Problem rausreden.“
Christian Hack, 16, 11. Klasse, Schülersprecher
Sara Mahmudi: Mir ist während des Homeschooling aufgefallen, wie sehr man eine gewisse Selbstdisziplin braucht, um mitzukommen. Es gab sehr viele Schüler, die gar nichts gemacht haben. Ich kann mich aber noch sehr gut daran erinnern, dass ich wirklich gut mitgemacht habe, weil es mir ziemlich langweilig zu Hause war, und ich habe das als Grund genommen, jetzt auch gut in der Schule zu sein, weil ich eben diese Angst hatte, dass es mir dann später fehlen wird. Mein schönster Moment in dieser Zeit: Als wir nach Corona wieder zusammen in die Schule gehen konnten. Ich weiß noch, wie sehr ich vor allem das wieder wertgeschätzt habe, was wir eigentlich davor als normal empfunden haben – wieder mit meinen Freunden in der Schule zu sitzen und normalen Unterricht in einem Klassenraum zu machen. Es gibt ja auch genug Schüler in anderen Ländern, die gar keine Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen.
„Mein schönster Moment in dieser Zeit: Als wir nach Corona wieder zusammen in die Schule gehen konnten.“
Sara Mahmudi, 15, 10. Klasse, Schülersprecherin
Sophia Brunner: Was ich aber auch sagen muss, dass ich es schwierig finde, so generelle Aussagen zu treffen, dass Corona dies und das im Sozialleben verändert hat. Selbst wenn man jetzt die Feststellung macht, dass die Fünftklässler heute anders sind als die Fünftklässler vor zehn Jahren. Ob es mit Corona zusammenhängt, wissen wir im Prinzip nicht.
Christian Duffner: Wobei wir uns darüber auch lange mit unseren Vertrauenslehrern unterhalten haben, weil bei uns Stimmen laut geworden sind, dass sich tatsächlich das Klima verändert hat an der Schule. Es gab plötzlich viel mehr Vandalismus. Auf den Toiletten zum Beispiel, das ist erschreckend. Also, da ist sehr viel rumgeschmiert worden nach Corona und wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass das nicht durch Corona kam, sondern einerseits mit der Pubertät zu tun hat und andererseits auch Social Media das soziale Klima in der Schule verändert hat. Dort gibt es Trends oder Videos, die dazu anstiften, Toiletten zu verschmieren oder irgendwelche unlustigen Gags an Schulen nachzumachen. Und ich glaube eher, dass das die Motivation der Schüler ist, sich dann auch hier danebenzubenehmen.
Sophia Brunner: Der Zugang zu Social Media und dem Internet erfolgt ja tendenziell immer früher. Heute haben die meisten Fünftklässler auch ein Handy, was ja an sich nicht schlecht ist. Nur hat man das Gefühl, dass da die Kontrolle fehlt und die Erziehung zu einem großen Teil inzwischen einfach durch das Internet geschieht. Auch das muss an sich nicht schlecht sein. Aber wir wissen alle, es gibt echt schlechte Seiten des Internets.
Christian Duffner: Das liegt aber in der Verantwortung der Eltern. Eltern müssten eigentlich dafür sorgen, dass ihre Kinder möglichst spät Zugang zu all dem Kram bekommen. Oder dass sie zumindest sagen, du kriegst kein Handy oder wenn du eins kriegst, dann nur mit WhatsApp, ohne Zugang zu Instagram oder TikTok oder so. Deshalb mein Appell an alle verantwortungsbewussten Eltern: Haltet eure Kinder möglichst lange weg vom Internet! Und bringt ihnen dann einen gesunden Umgang damit bei!
„Mein Appell an alle verantwortungsbewussten Eltern: Haltet eure Kinder möglichst lange weg vom Internet! Und bringt ihnen dann einen gesunden Umgang damit bei!“
Christian Duffner, 17, 12. Klasse, Schülersprecher
Sophia Brunner: Ich habe von Politik- und Geschichtslehrern gehört, dass auch ein Problem ist, dass Kinder durch das Internet so früh mit Themen wie Rechts- oder Linksextremismus in Kontakt kommen. Dass es für Lehrer schwierig wird, noch einen faktenbasierten Zugang zu den Themen zu vermitteln, weil Social Media die Kinder schon sehr früh beeinflusst und die Schule dadurch auch ein bisschen an Erziehungsmacht verliert.
Um so wichtiger wäre es doch, so etwas wie Medienkompetenz noch viel stärker an Schulen zu vermitteln, oder?
Sophia Brunner: Ja, wobei ich aber glaube, dass das in den meisten Schulen schon gemacht wird. Also wir sind zum Beispiel verpflichtet, in einer sogenannten „Gleichwertigen Feststellung von Schülerleistungen (GFS) Vorträge zu halten, wo wir auch eine Ausarbeitung schreiben müssen. Also etwas wirklich Faktenbasiertes mit Quellenangaben und allem, wo wir auf wissenschaftliches Arbeiten an der Uni vorbereitet werden sollen. Da geht es schon auch um Fragen wie, wie untersuche ich Quellen und welche Quellen sind geeignet?
Christian Hack: Eigentlich waren wir ja gerade beim Thema Corona. Und ich finde, da lässt sich schon noch etwas anmerken. Der Homeschooling-Unterricht war am Anfang nicht gut. Wir waren zu sehr uns selbst überlassen. Wir haben Arbeitsblätter und vielleicht mal noch einen Link zu einem Lernvideo oder einem Info-Text bekommen. Und dann hieß es: Bearbeitet damit die Aufgabe! Aber das direkte Lernen mit einem Lehrer, das hat am Anfang für einen längeren Zeitraum komplett gefehlt. Nur mal so als Vergleich, in der Schweiz lief das besser. Freunde haben mir erzählt, dass sie dort nach ein paar Tagen ihren normalen Stundenplan quasi mit Zoom-Meetings abgearbeitet haben. Es gab dort normalen Unterricht digital, das hatten wir über Wochen nicht. Wir mussten uns irgendwelche Arbeitsblätter aus dem Internet ziehen und mit denen irgendwie arbeiten.
„Der Homeschooling-Unterricht war am Anfang nicht gut. Wir waren zu sehr uns selbst überlassen.“
Christian Hack, 16, 11. Klasse, Schülersprecher
Sophia Brunner: Das stimmt. Aber da muss man auch sehen, dass das damals eine Situation war, die die ganze Welt überrollt hat. Die meisten Lehrer hatten ja auch keine Ahnung, wie die Programme funktionieren und wie digitaler Unterricht überhaupt funktioniert.
Ist das vielleicht das Beste, was man über Corona sagen kann: Es hat die Digitalisierung vorangebracht?
Sophia Brunner: Auf jeden Fall.
Christian Hack: Ja, auf jeden Fall, außer beim Thema WLAN. Wir haben hier an der Schule bis heute kein flächendeckend funktionierendes WLAN. Wie kann das denn sein? Es wird uns seit zwei, drei Jahren versprochen, bislang hat sich nichts getan. Jetzt soll es zum Frühjahr 2024 angeblich fertig sein. Das hätte schneller gehen sollen und müssen. Ein funktionierendes WLAN erleichtert das Schulleben unglaublich. Also für Recherchen, die man anstellt oder so, oder auch wenn man mal einfach in der Mittagspause ist. Wenn ich mal in der Mittagspause was arbeiten muss, dann kann ich das nicht in der Schule machen, ich gehe dann zum Bäcker in Schulnähe, der hat WLAN. Da kann ich wirklich dann auch noch mal was für einen Vortrag oder allein was für mich arbeiten.
„Wir haben hier an der Schule bis heute kein flächendeckend funktionierendes WLAN. Wie kann das denn sein?“
Christian Hack, 16, 11. Klasse, Schülersprecher
Christian Duffner: Apropos Digitalisierung. Für die Kommunikation mit unseren Lehrern hatten wir während der Pandemie mit Moodel einen guten Messenger. Jetzt haben wir einen neuen und der ist schrecklich. Aber dafür können unsere Lehrer nichts, wenn ich es richtig verstanden habe, sondern die Stadt hat, glaube ich, einen Vertrag mit einem IT-Unternehmen und die kümmern sich darum. Aber der ist gar nichts. Jeder regt sich darüber auf. Weil ein guter Messenger auch die Kommunikation mit Lehrern erleichtern würde. Das ist extrem wichtig, weil Mail ist einfach überholt. Keiner schreibt gerne Mails.
Sara Mahmudi: Das stimmt. Keiner von uns schreibt Mails. Und das Problem an der App, die wir jetzt haben, ist, man wird die ganze Zeit ausgeloggt. Da muss man sich wieder einloggen. Man bekommt manchmal keine Benachrichtigungen, wenn es etwas Neues gibt. Das ist ein großes Problem. Dabei wäre es eigentlich wichtig, auch außerhalb der Schule mit den Lehrern in Kontakt zu bleiben.
Sophia Brunner: Hier stoßen wir aber auch wieder an ein Problem des Schulsystems in Deutschland: Vieles liegt auch einfach nicht im Kompetenzbereich der Schulen. Wenn wir jetzt sagen, wir brauchen eine besser funktionierende Digitalisierung in den Schulen, muss auf Landes- oder Bundesebene etwas passieren. Die Schulen können da im Prinzip nicht viel machen.