Das Bild zeigt ein Baby beim Schlafen.

Endlich wieder Licht im Kreißsaal

Der Kreißsaal am Konstanzer Klinikum war in den letzten Monaten immer wieder für eine Woche im Monat geschlossen. Der Grund: Personalmangel. Jetzt gibt es gute Neuigkeiten. Die Hebammen sind wieder durchgehend im Einsatz – mit einem ganz neuen Arbeitsmodell.
Veronika Fischer lebt in Konstanz und ist Mutter von drei Söhnen. Als…

Im Juli vergangenen Jahres bekam Marina Mauz ihr zweites Kind. Sie hatte eine unkomplizierte Schwangerschaft und auch die Geburt ihres ersten Kindes lief gut, von daher war sie relativ entspannt, als die Wehen einsetzten. Ihr Mann Sebastian brachte die zweijährige Tochter zu den Großeltern, Marina atmete tief ins Becken und wartete bis die Abstände zwischen den einzelnen Wehen immer kürzer wurden.

Als sie spürte, dass die Geburt kurz bevor stand, rief ihr Mann in der Konstanzer Klinik an, um sie im Kreißsaal anzumelden. Ein solcher Anruf ist nicht notwendig, meistens sind die Gebärenden schon vorab zu einer Untersuchung in der gynäkologischen Praxis der Klinik gewesen oder haben eine Kreißsaalbesichtigung besucht.

Aber eigentlich kann man auch ganz ohne Vorbesuch und Anmeldung zur Klinikgeburt gehen. Eigentlich. Denn im Juli vergangenen Jahres hatte der Konstanzer Kreißsaal geschlossen.

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Plötzlich kam Panik auf

Marina Mauz fiel aus allen Wolken, als sie diese Information erhielt. „Ich hatte mir vorab überhaupt keine Gedanken über einen alternativen Geburtsort gemacht. Eine Hausgeburt kam für mich nicht in Frage und so war es einfach ganz klar, dass wir in die Klinik fahren“, erzählt sie.

Mitten in der Geburt umdisponieren zu müssen, war für sie eine richtige Katastrophe. Das Paar stand vor der Wahl, ob es nach Überlingen oder Singen fahren soll. Die Fahrt dorthin dauert jeweils zwischen 30 und 40 Minuten. Für einen kurzen Moment kam Panik auf: „Was, wenn wir das nicht rechtzeitig schaffen?“

Ein geschlossener Kreißsaal kann für eine Frau in der Geburt ein Horrorszenario darstellen

Marina rief ihre Hebamme an, die ihr beruhigend zusprach. Dann fuhren sie und ihr Mann nach Überlingen, während der gesamten Fahrt hatte Marina Wehen. „Als wir dort ankamen, war alles gut. Die Geburt lief super und dort waren alle sehr, sehr nett. Aber diesen Schockmoment und die Autofahrt werden wir nie im Leben vergessen“, so das Fazit der nun zweifachen Mutter. Ihr kleines Baby ist jetzt schon über ein halbes Jahr alt. In diesem halben Jahr war der Konstanzer Kreißsaal immer wieder geschlossen.

Der Grund hierfür ist derselbe wie in allen anderen Care-Berufen: Personalmangel. Das Team der Hebammen war unterbesetzt. „Eigentlich schon seit Jahren. 2017 hat der Kreißsaal in Radolfzell geschlossen. Die 400 Geburten, die dort jährlich stattfanden, mussten nun von Singen und Konstanz abgefangen werden“, so berichtet die Hebamme Katharina Stamml, die seit 16 Jahren in ihrem Beruf ist und seit vier Jahren zu ihrer freiberuflichen Tätigkeit auch im Konstanzer Kreißsaal arbeitet. In Konstanzer Klinikum finden im Jahr um die tausend Geburten statt.

Zur Geburt mussten die Frauen nach Überlingen, Singen oder in die Schweiz

Konstanz reagierte auf die Überlastung mit einer festen Schließungswoche des Kreißsaals. In den vergangenen Monaten war jeweils die dritte Woche im Monat zu. Gebärende mussten in diesem Zeitraum auf andere Kliniken ausweichen, Überlingen, Singen oder die Schweiz.

Letzteres ist kritisch, weil die Krankenkassen nicht immer die Kosten übernehmen und auch die behördlichen Formalitäten um einiges komplizierter sind. Hausgeburten sind natürlich auch eine Alternative, aber aktuell bieten nur vier Hebammen im Landkreis diese Leistung an und sind dementsprechend frühzeitig ausgebucht. Eine spontane Option ist dies also nicht.

Das Bild zeigt Thomas Beringer, kaufmännischer Direktor des Klinikums Konstanz.

„Gesundheit wird nicht adäquat vergütet und leider beginnt das schon bei der Geburt.”

Thomas Beringer, kaufmännischer Direktor des Klinikums Konstanz

Thomas Beringer, kaufmännischer Direktor des Klinikums Konstanz, ist bemüht eine stabile Geburtshilfe zu gewährleisten. Aber er steht vor einer finanziellen Herausforderung: das Fallpauschalensystem der Krankenkassen deckt kaum die entstehenden Kosten, die Strompreise sind erhöht, die Inflation kickt – und eine Geburt wird über die Krankenkassen durch Fallpauschalen abgewickelt.

Rund 1900 Euro ist der durchschnittliche Satz für eine normale Geburt. Für einen Vorgang, der manchmal viele Stunden dauern, medizinische Interventionen erfordern kann und einer kontinuierlichen Betreuung, auch auf der Wochenstation, bedarf, geht sich das vorne und hinten nicht aus. „Gesundheit wird nicht adäquat vergütet“, so ist Beringers Fazit, „und leider beginnt das schon bei der Geburt.”

Der Kampf gegen den Personalmangel

Den Personalmangel im Team der Hebammen versucht Thomas Beringer schon seit Langem zu schließen, aber es finden sich keine Leute. Das liegt an ähnlichen Gründen, wie auch im Kita- oder Pflegebereich allgemein. Das Lohnniveau einer Vollzeitstelle beginnt mit einer Vergütung nach Tarifvertrag bei 3000 Euro brutto. Viele Hebammen gehen in die nahegelegene Schweiz, dort verdoppelt sich das Einkommen.

Ein Lohnniveau mit dem Deutschland nicht mithalten kann? Könnte man denken, doch es gibt auch Kliniken, in denen Hebammen ein höheres Gehalt bekommen, um den Beruf attraktiver zu gestalten. An der Uniklinik in Heidelberg wird den Hebammen beispielsweise eine monatliche Aufwandsentschädigung von tausend Euro bezahlt. Netto ist das unterm Strich ähnlich wie das Lohnniveau im Thurgau nach allen Abzügen.

Thomas Beringer sieht als sein oberstes Anliegen die Geborgenheit der Frau im Kreißsaal und einen gesicherten Versorgungsauftrag der Geburtshilfe. Er betont, dass nicht der finanzielle Anreiz, sondern das Wohl der Bevölkerung im Konstanzer Klinikum an erster Stelle steht. Als Beispiel dafür zieht er die Sectio-Rate heran, die im Konstanzer Kreißsaal geringer ist als im Bundesdurchschnitt, obwohl ein Kaiserschnitt aus rein arbeitsökonomischer Sicht die Version ist, die man besser planen und schneller durchführen könnte.

Das Bild zeigt das neue Hebammen-Team in Konstanz.
Sie haben sich zusammengeschlossen, damit im Konstanzer Kreißsaal dauerhaft das Licht anbleibt: Hebammen, die jetzt in einem ganz neuen Arbeitsmodell beschäftigt sind.

Nach langen Verhandlungen ist klar: Konstanz bekommt ein Dienstbeleghebammen-system

Beringer war in den letzten Wochen in vielen Gesprächen und Verhandlungen mit dem Hebammen-Team des Konstanzer Kreißsaals. Klar war, dass es so wie es läuft nicht weitergehen kann und neue Lösungen wurden diskutiert. Für den kaufmännischen Direktor des Klinikums Konstanz waren einige Modelle denkbar, aber für die Hebammen nur eines. Nun ist klar: Konstanz wird ab April einen Kreißsaal mit Dienstbeleghebammen bekommen.

Ein Beleghebammensystem bedeutet, dass freiberufliche Hebammen Geburten in Kliniken begleiten. Zuletzt gab es hier in der Region in Radolfzell Beleggeburten, bis eben 2017 der Kreißsaal dort schloss.

Doch hier war das System anders, als das was jetzt in Konstanz geplant ist: Zur Geburt konnte man dann die Hebamme mitbringen, bei der man schon zu Vorsorgeuntersuchungen und Geburtsvorbereitungskursen war und auch die Wochenbettbetreuung machte, sofern sie gerade im Geburtsdienst war natürlich. Dadurch war eine 1:1 Betreuung der Frau durch ihre Hebamme möglich, was in Studien als die optimale Situation für Geburten gewertet wird.

Die Hebammenarbeit wird sich ändern

Das wird in Konstanz nicht so sein. Es ist auch kein hebammengeleiteter Kreißsaal, die Ärzt:innen sind immer noch weisungsbefugt. Das Setting des Dienstbelegsystems ist von außen eigentlich nicht zu unterscheiden von der bisherigen Geburtshilfe, inhaltlich wird sich einiges in der Hebammenarbeit ändern, aber der Ablauf bleibt gleich wie bisher: Die Frauen kommen zur Geburt in den Kreißsaal und werden dort von den  diensthabenden Hebammen betreut. Nur sind diese jetzt nicht mehr fest in der Klinik angestellt, sondern in einem eigenen Unternehmen organisiert, das mit der Klinik kooperiert.

Die Hebammen sind künftig alle freiberuflich und leisten einen Schichtdienst im Klinikum. Welches Pensum sie dabei wählen, ist ihnen freigestellt. Sie können beispielsweise eine eigene Praxis führen, mit Vorsorgeuntersuchungen, Wochenbettbesuchen, Kursangeboten und Beratungen und einen gewissen Teil ihrer Arbeit im Kreißsaal absolvieren. Sie können aber auch nur im Kreißsaal arbeiten. Allerdings müssen sie sich alle selbst versichern und die sehr hohe Berufshaftpflicht von 12.369 Euro selbst tragen. Dafür rechnen sie in Zukunft ihre Arbeit selbst bei den Krankenkassen ab.

Das Bild zeigt die Konstanzer Hebamme Katharina Stamml.
Die Konstanzer Hebamme Katharina Stamml.

„Wir können unsere Dienstpläne selbst gestalten, haben eine hohe Selbstverantwortung, können uns aussuchen, wer noch ins Team dazu kommt und können Zukunftsvisionen eigenständig entwickeln.“

Katharina Stamml, Hebamme

Katharina Stamml sieht diese Variante als einen Meilenstein an. „Wir sind ein cooles junges Team und wir haben jetzt ein richtig attraktives Unternehmen geschaffen. Wir können unsere Dienstpläne selbst gestalten, haben eine hohe Selbstverantwortung, können uns aussuchen, wer noch ins Team dazu kommt und können Zukunftsvisionen eigenständig entwickeln. Das Beste ist aber: Wir haben wieder mehr Zeit für die originäre Hebammenarbeit.“

Einig sind sich sowohl die Hebammen also auch die Klinikleitung: die Frau soll im Mittelpunkt der Geburtshilfe stehen und der Kreißsaal darf nie wieder geschlossen werden. Falls sich jemand dem engagierten Team anschließen möchten: aktuell sind neue Stellen ausgeschrieben!