Warum wir unsere Schulen anders bauen müssen

Hohe Treppen, schwere Türen: Schulgebäude sind oft nicht sehr einladend konzipiert. Dabei könnte gute Architektur unsere Schulen besser machen.
Michael ist Lokaljournalismus-Ultra. Er findet: Kaum ein Instrument…

Im Grunde genommen ist die Sache recht einfach: Schulen sollten inspirierende Orte sein, die die Schülerinnen und Schüler zu Entdeckungen einladen. Architektur, findet die Konstanzer Architektur-Professorin Myriam Gautschi, kann dabei helfen, genau solche Räume zu schaffen. Ob das bisher schon gut gelingt?

Die Professorin der HTWG Konstanz winkt ab: „Ich sehe da noch viel Luft nach oben in Deutschland. Der Schulbau spiegelt Ideale und das Wesen einer Gesellschaft wider. Dort definieren wir, wie wir unseren Kindern gegenübertreten. Wenn ich viele Schulbauten anschaue, denke ich oft, das müssten wir doch besser machen“, sagt Gautschi bei einem Besuch in ihrem Büro an einem Mittwoch im Dezember.

Zwei neue Schulen entstehen bis 2030

In Konstanz ist das Thema wieder aktuell, weil in den nächsten Jahren zwei neue Schulen gebaut werden sollen – eine Grundschule und eine weiterführende Schule. Beide sollen bis 2030 im neuen Stadtteil Hafner in Wollmatingen entstehen. Insofern ist jetzt ein guter Zeitpunkt, mal zu fragen, wie man eigentlich eine gute Schule baut.

„Man sollte jedenfalls nicht nur auf einzelne Funktionen schauen, sondern überlegen: Was mache ich in den Räumen, wie finde ich Konzentration, wohin gleitet mein Blick, wenn ich Ideen suche, wie bewegen sich die Schülerinnen im Raum, und dann den Raum auf diese Bedürfnisse anpassen“, findet Myriam Gautschi. Ein Lehrraum, sagt die Architekturprofessorin, sollte im übertragenen Sinne eben auch ein Spielraum sein. Denn: „Nirgendwo lernt man so gut wie im Spiel“, sagt Gautschi.

„Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen 100 Jahren massiv verändert, heute gibt es andere Ideale, andere Erziehungsmodelle, das müsste sich auch in der Architektur unserer Schulen zeigen.“

Myriam Gautschi, Architektur-Professorin

Architektur könne dabei unterstützend wirken. Über die Wahl der Raumproportionen, die Anlage der Fenster, die Ermöglichung verschiedener Blickachsen, in die Weite, aber auch in die Nähe für konzentriertes Arbeiten. Gutes Material, Akzente durch kluge Lichtgestaltung, vielseitig nutzbare Räume, wohl überlegte Tischanordnung und insgesamt möglichst verschiedene Orte schaffen, um den unterschiedlichen Bedürfnissen, die es in Schulen geben kann, gerecht zu werden, lauten fünf Tipps der HTWG-Professorin an die Praxis. „Hilf mir, es selbst zu tun“, nach dieser Devise von Maria Montessori, müssten heute auch gute Schulräume gestaltet sein.

Alte Schulgebäude seien in ihrer Architektur häufig Kirchen nicht unähnlich. Eine Treppe, die man herauf schreiten muss, schwere Türen, klare Wegeführung im Gebäude widerspiegeln eine hierarchische Ordnung und Denkweise. Offenheit, Freude und Gedankenfreiheit spiegeln sich da eher weniger. „Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen 100 Jahren massiv verändert, heute gibt es andere Ideale, andere Erziehungsmodelle, das müsste sich auch in der Architektur unserer Schulen zeigen“, findet Myriam Gautschi.

Wie Architektur zum Bildungs­erfolg beitragen kann

Tatsächlich stellt sich die Frage, wie genau das gehen könnte. Für die Beantwortung der Frage rufe ich Olaf Bahner an. Bahner ist Referent für Baukultur und Berufspolitik beim Bund deutscher Architekten (BdA). Herr Bahner, was kann Architektur zum Bildungserfolg junger Menschen beitragen?

„Die zeitgemäße Pädagogik hat sich vom starren Frontalunterricht in reihenbestuhlten Klassen gelöst. Schülerinnen und Schüler lernen heute in wechselnden Arrangements – alleine, zu zweit und in Kleingruppen. Schulgebäude und damit die Architektur bieten als „Häuser des Lernens“ unterschiedliche Lehr- und Lernumgebungen für die Schülerinnen und Schüler an“, sagt der Experte zum Einstieg.

Was er genau damit meint, führt er später aus: „Allgemeine Unterrichtsbereiche sind für das Lernen in unterschiedlichen Gruppengrößen ausgelegt und sollten auch für Schülerinnen und Schüler Aufenthalts-, Ruhe- und Kommunikationsbereiche anbieten.“

Auch die Flure und die Schulhöfe sollte man in die pädagogische Arbeit stärker einbeziehen, meint der Architekt. Das klingt jetzt erstmal nicht so revolutionär. Warum wird das nicht längst gemacht?

Baustelle Humboldt-Gymnasium Konstanz. Bild: Michael Lünstroth

Was tun, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen?

Bahner hält kurz inne und sagt dann: „Schulbau findet unter komplexen und teilweise komplizierten Rahmenbedingungen statt. Insbesondere die Dichte an Normen und Regelwerken, die beim Planen und Bauen von Schulen zu beachten sind, stehen einem qualitativen, innovativen und kostensparenden Schulbau oft entgegen.“

Sollten die Kosten aus dem Ruder laufen, rät Bahner dazu, die technische Ausstattung des Gebäudes unter die Lupe zu nehmen. Lüftungen seien zum Beispiel oft Kostentreiber. Das müsse aber nicht so sein: „Architektonische Konzepte, die durch konstruktive Lösungen den Technikeinsatz reduzieren, sind im Bau und Betrieb kostengünstiger“, erklärt Bahner.

Wie man einen Schulbau erfolgreich plant

Extrem wichtig seien beim Schulbau besonders zwei Dinge: Eine solide Vorbereitungsphase, die so genannte „Phase Null“, und eine qualitätsorientierte Vergabe der Planungsleistungen. „In der „Phase Null“ werden die Erwartungen und der Bedarf an das Schulgebäude beschrieben, möglichst in einem partizipativen Prozess, in den neben der fachlichen Verwaltung auch Lehrende und Schülerinnen und Schüler mit ihren Erfahrungen teilnehmen sollten. Die in der „Phase Null“ formulierten Anforderungen und Ziele sind der Ausgangspunkt für den anschließenden Entwurf für das Schulgebäude.“

Danach sollte sich ein Architekturwettbewerb anschließen, erklärt Olaf Bahner. „Das ist ein bewährtes Instrument, um im Wettstreit der Ideen die beste Lösung für die Schule auszuwählen. Aus einer Vielzahl von Lösungsvorschlägen ermittelt das Preisgericht anhand verschiedener Kriterien, wie wirtschaftliche, funktionale, technische, ökologische und gestalterische Aspekte, das beste Lösungskonzept. Für die Umsetzung wird das prämierte Architekturbüro schließlich beauftragt.“

„Architektur kann Wertschätzung vermitteln, jeder fühlt sich in schönen Räumen wohler.“

Barbara Pampe, Architektin und Vorständin der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft


Innovative Ideen im Schulbau kommen manchmal auch von Stiftungen. Zum Beispiel von der „Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft“. Die Architektin Barbara Pampe ist Vorständin der Stiftung und ist überzeugt vom Beitrag der Architektur zum Bildungserfolg: „Architektur kann Wertschätzung vermitteln, jeder fühlt sich in schönen Räumen wohler“, sagt Pampe. Seit 15 Jahren kümmert sich ihre Stiftung darum, dass dem Thema mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Ein Online-Tool, das Kommunen bei der Planung hilft

Weil sie weiß, dass es auf dem Weg zum gelungenen Schulbau viele Hürden gibt, hat die Montag Stiftung ein Online-Tool entwickelt, das Kommunen dabei helfen soll, den Schulbau klug zu planen. „Schulbau Open Source. Planungswissen für Innovationen im Schulbau“ heißt der Werkzeugkasten. Darin bündelt die Stiftung das komplette Material aus den von ihr begleiteten Pilotprojekten, frei zugänglich für Kommunen, Planende, Architektinnen und Architekten.

Von Akustik über Beleuchtung und der Gestaltung von Räumen und Flächen bis hin zu Fragen der Lüftung und Temperierung wird das Planungswissen aus innovativen Neu- und Umbauprojekten über alle Planungsphasen weitergegeben: „Damit wollen wir den Wandel im Schulbau voranbringen und Innovationen fördern“, sagt Pampe.

Das Planungstool der Montag Stiftung.

Wie Schule und Quartier voneinander profitieren können

Für sie ein wichtiger Punkt in der Planung einer neuen Schule: Wie kann man die Bedürfnisse des Quartiers mit denen der Schule verknüpfen? „Bis auf die Schulsporthallen, die in der Regel auch von Vereinen mitgenutzt werden, sind viele Schulen nach Schulschluss ausgestorben und widersprechen damit wirtschaftlichen Anforderungen. Mit Mehrfach- und Mischnutzungen können Schulen ihre ökonomische Effizienz deutlich steigern und leisten dadurch nebenbei einen Beitrag zum Klimaschutz. Anstelle stadträumlich isolierter Anlagen wird Schule als aktiver Baustein der Nachbarschaft erkennbar. Davon profitieren am Ende alle“, findet die Stiftungs-Vorständin.

Notwendig: Neue Raum­konzepte für die Ganztags­betreuung

In einem anderen Projekt arbeitet die Stiftung auch zur großen Frage, wie der Rechtsanspruch auf Ganztagsförderung ab 2026 bei gleichzeitigem Raummangel gestemmt werden kann. „Um Lösungen aufzuzeigen, entwickeln wir gemeinsam mit allen Beteiligten aus Schule, Verwaltung, Jugendhilfe und Schulaufsicht integrierte Nutzungskonzepte für einen kindgerechten Ganztag, bei dem alle Innen- und Außenräume über den ganzen Tag hinweg von allen genutzt werden. Organisation, Pädagogik und Raum greifen dabei ineinander“, erklärt Barbara Pampe.

Macht Shopping Malls zu Schulen!

Um der Schulraumnot in vielen Städten zu begegnen, regt die Stiftung auch an, leerstehende und ursprünglich nicht für schulische Zwecke geplante Gebäudetypen wie Bürobauten, Fabrikhallen oder Shopping-Center in Schulräume umzunutzen.

„Gemeinsam mit interessierten Kommunen wollen wir in unserem nächsten Schulbau Open Source Pilotprojekt eine solche Lösung umsetzen. Wir werden ein mutiges Projekt mit unserem Know-how begleiten und beraten und die Planung finanziell fördern. Beispielhaft wollen wir zeigen, wie Leerstand für eine innovative Schulnutzung aktiviert werden kann“, sagt Barbara Pampe. Die Ausschreibung des Projektes läuft noch bis zum 6. Februar 2024.

Experten-Tipp für den Schulbau in Konstanz

Zum Schluss noch einmal zurück zu Olaf Bahner vom Bund deutscher Architekten. Wenn in den nächsten Jahren im neuen Stadtteil Hafner also zwei neue Schulen in Konstanz gebaut werden, was würde er der Stadt Konstanz raten? „Unbedingt auf Qualität von Anfang an achten. Dies beginnt mit der „Phase Null“, um mit vielen Beteiligten in einem partizipativen Prozess Erwartungen und Anforderungen an die künftigen Schulen zu ermitteln. Die Suche nach dem besten Entwurf für die Umsetzung der Ideen und Anforderungen sollte in einem Architektenwettbewerb erfolgen. Hier kann anhand einer Reihe von Vorschlägen im Diskurs das beste Konzept ausgewählt werden.“

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