Weiblich, 26, Filialleiterin im Handwerk 

Ein Mittel gegen den Fachkräftemangel ist es, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Frauen wie Laura Eichinger. Die Augenoptikerin hat eine Karriere im Schnelldurchlauf hingelegt. Die Geschichte eines Aufstiegs.
Laura Eichinger hat im August die Leitung einer Optikerfiliale übernommen. Foto: Anja d’Oleire-Oltmanns

Auf den ersten Blick könnte man Laura Eichinger vielleicht für das Mädchen von nebenan halten. Ihre blonden Haare trägt sie hinter den Ohren, die Spitzen fallen ihr locker über die Schulter. Ihre zierliche, aber modische Brille betont ihre Augen. Sie lächelt. Geboren und aufgewachsen in Engen, wohnt sie mittlerweile in Anselfingen, dem mit 1.300 Einwohner:innen zweitgrößten Stadtteil von Engen. Sie ist ein Landei durch und durch. Findet es dort „supergeil“, die Stadt sei zwar nett, aber Wiesen und Wälder seien besser, sagt sie. Sie wirkt freundlich und nett – wie das Mädchen von nebenan eben. Doch Laura Eichinger ist mehr als das. Mit ihren 26 Jahren hat sie direkt nach ihrer Ausbildung zur Optikermeisterin bei Optik Ufert im August 2023 die Leitung einer neuen Filiale übernommen. 

„Was sagen Sie denn jetzt als junge Dame?“, fragt eine Kundin, die gerade eine neue Brille anprobiert. Junge Dame. Klar, Laura Eichinger ist jung. Aber nicht weniger kompetent. Das lässt nicht nur ihr Business-Outfit, ein grauer Hosenanzug, vermuten, sondern auch das, was sie sagt. Sie spricht, als hätte sie schon ewig Erfahrung. Überhaupt hat sie bisher eine beeindruckende Karriere hingelegt: 2020 hat Laura ihre Augenoptikerausbildung als Landesbeste abgeschlossen. 2021 folgte der Bundeswettbewerb Profis Leisten Was, bei dem sie 2. Bundessiegerin wurde. „Ich mache einfach gerne gut, was ich mache“, sagt Laura.

Sie hat nicht nur ihren Meister gemacht, sondern ihren Techniker. Am liebsten hätte sie noch einen Master on top gemacht, doch der bringt ihr im Berufsalltag wenig. Aber Laura lernt gerne und viel und das auch noch schnell. Optik Ufert hat zwölf Mitarbeitende in drei Filialen. In der neu gegründeten Filiale am Konstanzer Fischmarkt arbeiten sie meistens zu dritt. Die Arbeit erfüllt sie, trotzdem ist ihr Freizeit wichtig. „Wir sind sehr privilegiert, dass wir uns eine Arbeit aussuchen können, die uns Spaß macht.“

Das Image von Ausbildungen aufpolieren

Obwohl sie Abitur hat, hatte sie damals keine Lust auf ein Studium. Sie wollte nicht nur im Hörsaal rumsitzen, sondern praktisch arbeiten. Und so verabschiedete sie sich von ihrem ursprünglichen Traum, Architektin zu werden. Sie sah sich bis zur Selbstverwirklichung zu lange in einem trockenen Studium und in jahrelangen Praktika gefangen. „Heute setze ich eben Menschen schöne Brillen auf. Vielleicht bin ich also eher eine Kunstbetrachterin statt einer Kunsterschafferin“, sagt Laura. Warum also Optikerin? „Ich kam darauf, weil Optiker im Laden mir häufig so entspannt und glücklich erschienen.“ Heute gefallen ihr vor allem die Arbeit mit Menschen, die Vielfältigkeit des Jobs und dass dieser ein Mix aus Handwerk und Gesundheitsberuf ist. 

Laura Eichinger bei ihrer Arbeit in der Optikerfiliale.
Foto: Anja d’Oleire-Oltmanns

In ihrem Freundeskreis war Laura damals eine der wenigen, die sich nach dem Abitur für eine Ausbildung entschieden. Als sie auf Studierenden-WG-Partys erzählte, dass sie eine Ausbildung mache, wurde sie komisch angeschaut. „Ausbildungen haben generell kein so gutes Image“, sagt Laura. Doch das will sie ändern: Schon während ihrer Ausbildung engagierte sie sich deshalb als Ausbildungsbotschafterin, um Schüler:innen fürs Handwerk zu begeistern. Für sie selbst war die Ausbildung am Anfang eine Herausforderung, ein Sprung ins kalte Wasser. „Es ist schon beängstigend, du kennst niemanden und kannst nichts. Aber wenn man fit ist, kann man schnell viel machen“, sagt Laura. 2019 hat sie ihre Ausbildung bei Optik Ufert in Konstanz begonnen. Dadurch kennt sie nicht nur die Mitarbeitenden und das System, sondern auch einige Kund:innen. Sie sagt, sie durfte schon immer viel machen. Aber jetzt hat sie zusätzlich dazu mehr Verantwortung. 

„Ich habe meine Position ja auch, weil ich gut bin.“

Laura ist ein Familienmensch, ein Grund, warum sie in der Region geblieben ist. Beide Eltern haben jeweils fünf Geschwister, wodurch Laura rund 25 Cousins und Cousinen hat. Mit ihrem Bruder, der nur ein Jahr jünger ist als sie, ist sie aufgewachsen, als wären sie Zwillinge. Das Handwerk wurde Laura quasi in die Wiege gelegt. Ihr Vater ist Mechaniker, ihre Mutter hat ein Café mit Floristik. „Ich komme aus keiner Akademiker-Familie“, sagt Laura. Beide Eltern arbeiten selbstständig. Dass ihre Eltern so stolz auf ihre Karriere im Handwerk sind, treibt sie an.

„Ich habe meine Position ja auch, weil ich gut bin“, sagt sie selbstbewusst. Ihre Stärken sieht sie in der Empathie für den Umgang mit Menschen, durch die sie eine angenehme Atmosphäre für ihre Kund:innen schafft. Trotzdem merkt sie:

„Als junge Frau muss man erstmal beweisen, dass man kompetent ist“,

sagt Laura.

Es passiere häufiger mal, dass Kund:innen im Laden nach dem Chef fragen. Laura erklärt ihnen dann freundlich, dass sie die Filialleiterin ist. Darauf gebe es aber auch viele positive Reaktionen. 

Warum sich erfolgreiche Frauen oft unterschätzen

Dass Frauen sich im Berufsalltag mehr beweisen müssen, lässt sich wissenschaftlich erklären. Denn noch immer ist es so, dass einer „typischen“ Führungskraft tendenziell solche Eigenschaften zugeschrieben werden, die eher mit dem männlichen Geschlechterstereotyp in Verbindung gebracht werden – Durchsetzungsfähigkeit, Dominanz, Wettbewerbsorientierung. Frauen in Führungspositionen erleben daher eine Unvereinbarkeit zwischen ihrem weiblichen Geschlechterstereotyp wie Warmherzigkeit, Empathie und Selbstlosigkeit einerseits und dem vorherrschenden Führungsstereotyp andererseits.

Sabine Boerner, Professorin an der Uni Konstanz. Foto: Uni Konstanz

„Daraus kann der sogenannte ‚Stereotype Threat‘ entstehen, also die Furcht, negativ beurteilt und schlecht behandelt zu werden, wenn man sich in Situationen begibt, in denen negative Stereotype über die eigene Gruppe vorherrschen“, erklärt Sabine Boerner, Professorin am Lehrstuhl für Organizational Behavior in Konstanz. Sie hat sich in ihrer im Sommer erschienenen Publikation zu Frauen in Führungspositionen „Female Leadership – Führen Frauen anders?“ mit Fragen zu Frauen in Führung beschäftigt. Die Forschung zeigt, dass die Unvereinbarkeit weniger für solche Bereiche gilt, in denen Frauen vergleichsweise gut repräsentiert sind, wie beispielsweise im Bildungswesen oder in Pflegeberufen.

„Der ‚Stereotype Threat‘ ist dann geringer ausgeprägt, wenn Frauen sich ihrer Stärken in Sachen Führung bewusst sind, wenn sie Mitarbeiterführung für erlernbar halten und wenn sie weibliche Vorbilder haben.“

Sabine Boerner

Die Forschung zeigt, dass Frauen nicht weniger erfolgreich sind als Männer. Aber: Sie schätzen sich häufig selbst als weniger erfolgreich ein, als Männer dies tun, und leiden häufiger unter dem sogenannten Imposter-Syndrom, dabei zweifeln erfolgreiche Frauen an ihren Fähigkeiten und glauben daher, dass sie ihren Erfolg „nicht verdient haben“ und von anderen überschätzt werden. Die Führungsmotivation von Frauen kann dadurch gesteigert werden, Frauen über ihre Stärken in Sachen Führung aufzuklären. Frauen sind außerdem eher zu einer Führungsposition motiviert, wenn sie ermutigende Rahmenbedingungen vorfinden, selbst weniger traditionelle Rollenmodelle im Kopf haben und wenn sie sich der Geschlechter-Ungleichheit in Führungspositionen bewusst sind. Was Frauen außerdem motiviert: wenn sie weibliche Vorbilder in Führungspositionen kennen. 

Laura will ein Vorbild sein

Laura will auch ein Vorbild für mehr Gleichberechtigung sein.

„Frauen können das alles genauso gut machen. Je häufiger junge Frauen im Handwerk und in Führungspositionen sind, desto normaler wird es auch im Bewusstsein der Menschen“,

sagt sie.

Laura ist auch eine von wenigen Frauen im Handwerk. „Es ist ein strukturelles Problem, dass es Mädchen gar nicht vorgeschlagen wird, ins Handwerk zu gehen“, sagt Laura. Um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, muss das Handwerk sich auch für weibliche Personen öffnen. Im Vergleich zu anderen handwerklichen Berufen ist der Beruf der Augenoptikerin schon eher weiblich.

„Das Bild des typischen Handwerkers ist wahrscheinlich immer noch in vielen Köpfen ein Mann mittleren Alters mit schmutzigen Händen und Blaumann“,

sagt Fabienne Gehrig, Personalberaterin bei der Handwerkskammer Konstanz.
Fabienne Gehrig. Foto: Handwerkskammer Konstanz

„Das Handwerk ist jedoch sehr viel diverser: vom gestylten Friseur über die Chirurgiemechanikerin, die mit Präzisionsteilen aus Metall arbeitet, bis hin zum Zimmerer, der Häuser baut, sind viele spannende und unterschiedliche Berufe im Handwerk beheimatet.“ Kaum ein Bereich ist so vom Fachkräftemangel geplagt wie das Handwerk. Ohne Frauen geht es nicht. Im Bezirk der Handwerkskammer Konstanz (Landkreise Schwarzwald-Baar, Konstanz, Rottweil, Tuttlingen, Waldshut) gab es zum 31. August 2023 710 weibliche und 3.486 männliche Auszubildende. 2022 erfolgte fast jede vierte Betriebsgründung im Handwerk durch eine Frau.

„Für andere Mädchen und Frauen ist es wichtig, Vorbilder zu haben. Personen, die ihnen zeigen, dass ein erfolgreicher Karriereweg für eine Frau im Handwerk möglich ist und auch genutzt wird. Daran können sich andere orientieren und mutig in ihren Entscheidungen sein.“

Fabienne Gehrig

Den ersten Monat in der neuen Position hat Laura nun hinter sich gebracht. Ihr Drang, Neues zu entdecken und Neues zu lernen, ist damit gestillt – für den Moment. Denn Laura wird schnell langweilig, deshalb sucht sie sich neue Herausforderungen. Dafür will sie in ihrer neuen Rolle auch Projekte starten, beispielsweise im Bereich Low Vision, also Sehbehinderung. Die Ausrüstung jedenfalls ist da in der neuen Filiale, von der Laura sagt, dass sie dort die modernsten Geräte in Konstanz hat. Vielleicht macht sie Fortbildungen. „Ich hoffe nur, dass mir jetzt nicht wieder so schnell langweilig wird“, sagt sie und lacht.