Wie viel Tourismus verträgt die Stadt?

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Anzahl an Tourist:innen, die Konstanz besuchen, beinahe verdoppelt. Was für die Hotellerie und Gastronomie ein Segen ist, bringt für andere Bereiche auch Nachteile. Ein Essay über Licht- und Schattenseiten des Tourismus in Konstanz.
Grafik: Fee Baske

Wer einen Urlaub in Konstanz und Umgebung plant, hat es leicht: Ob ein Ausflug auf die Insel Mainau, ein geschichtsträchtiger Besuch auf der Reichenau, eine Fahrradtour auf der Schweizer Seite Richtung Ermatingen, ein gemütlicher Spaziergang durch die Altstadt oder eben doch ein Badeurlaub an den vielen kostenlosen Strandbädern zwischen Wallhausen bis zum Hörnle. Wo fängt man da an?

Genau das denken sich viele Besucher:innen und planen häufig ihren Sommerurlaub in der größten Stadt am Bodensee. Tourismus heißt, das eigene Lebens- und Berufsumfeld zu verlassen, um einen fremden Ort zu besuchen. Dabei wird Tourismus in weitere Bereiche unterteilt.

Arten des Tourismus

Beim Massentourismus handelt es sich oft um Pauschalreisen oder All-inclusive-Angebote, die für eine breite Bevölkerungsschicht angelegt sind. In den meisten Fällen besuchen die Reisenden Orte, an denen es eine gut ausgebaute Infrastruktur gibt, Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Bars und Touristenattraktionen. Dort, wo sich die Menschenmassen auf die Mainau schieben, findet Massentourismus statt. Im Gegenzug dazu steht der Individualtourismus, bei dem sich Reisende selbstständig um die Organisation ihrer Reise kümmern und die Zielorte auch spontan wählen. 

Seit ein paar Jahren gibt es den Trend zum nachhaltigen Tourismus. Er zeichnet sich durch einen ressourcenschonenden Aufenthalt aus, bei dem die Reisenden versuchen, im Einklang mit der Natur zu sein. Also beispielsweise ein Campingurlaub mit Zug und Zelt im Gepäck. Auch Kreuzfahrttourismus wird als einzelne Säule im Tourismus verstanden. Kreuzfahrten spielen auf dem Bodensee zwar keine Rolle, wohl aber der Schifffahrtstourismus. In Konstanz mischt sich alles aus Massentourismus, Individualtourismus und nachhaltigem Tourismus. Jede dieser Arten bringt Vor- und Nachteile mit sich. Sogar der nachhaltige Tourismus. 

Klimaschutz vs. Tourismus? 

Wie passt Tourismus in eine Stadt, die sich Klimaschutz auf die Fahne geschrieben hat? Laut der Stabsstelle Klimaschutz gibt es keine aktuellen Zahlen, wie viel Prozent der Treibhausgasemissionen Tourismus in Konstanz verursacht. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass Tourismus weltweit etwa acht Prozent der verursachten Treibhausgasemissionen ausmacht. 1.060.332 Menschen übernachteten im vergangenen Jahr in Konstanz. In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Besucher:innen verdoppelt. 2012 waren es noch 656.761 Übernachtungsgäste. Grundsätzlich ist Tourismus vor allem über die Anreise treibhausgasintensiv, außerdem über die Beherbergungsbetriebe, wobei es da auch auf die jeweiligen Standards ankommt. Bei der Mobilität spielt am Bodensee auch die Schifffahrt eine entsprechende Rolle. 

Das E-Schiff an der Insel Mainau. Foto: Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB)/Theresia Keck

Weitere Umweltverschmutzungen finden durch vermehrtes Abfallaufkommen, Abwasser und viel Verkehr statt. Im Schnitt produziert Konstanz im Jahr zwischen 400 und 500 Tonnen Müll. Das Seenachtfest macht laut Henry Rinklin der Technischen Betriebe nur einen kleinen Unterschied von ungefähr 20 Tonnen. Das höchste Abfalllaufkommen ist in den Monaten von Juni bis einschließlich August. Die Technischen Betriebe sind, anders als die Entsorgungsbetriebe Konstanz, für den öffentlichen Müll in der Stadt zuständig. Dort, wo sich viele Menschen draußen aufhalten – zum Beispiel im Herosé-Park – gibt es viel Müll. Das ist aber auch bei Einheimischen so und nicht nur bei Tourist:innen.

Wenn es um den Verkehr geht, können wohl viele Konstanzer:innen davon ein Liedchen singen: Am Samstag mit dem Auto in die Stadt, das macht man als Einheimische:r wirklich nur im Notfall. In der Innenstadt gibt es in den Parkhäusern insgesamt 2.344 Parkplätze. In den Sommermonaten und an den Wochenenden sind die Parkhäuser in der Regel komplett belegt, sodass die Stadt weitere Parkmöglichkeiten außerhalb des Zentrums schaffen musste. Laut Stadtmarketing sind aber viele Tourist:innen bereit, auf das Rad oder den Zug umzusteigen. 

Wenn es um den Verkehr geht, tut sich die Stadt schwer, ihr Konzept der „autoarmen“ Stadt durchzusetzen. Durch hohe Parkgebühren sollen die Menschen davon abgehalten werden, mit dem Auto anzureisen. Das klappt ehrlicherweise nicht ganz so gut – für Schweizer:innen sind die Parkpreise erschwinglich bis normal.

Und so schiebt sich Woche für Woche ein Auto nach dem anderen auf die teuren Parkplätze. Hier zeigt sich die Überlastung der Infrastruktur.

Existenzbedrohung durch zu sauberes Wasser

Der Bodensee lockt viele Menschen auch deshalb an, weil er besonders sauber ist und zum Baden einlädt. Genau diese Sauberkeit ist aber für die Fische im See fatal: Immer weniger Fische finden im zu sauberen Wasser genug zu fressen. Fischern und dem Ökosystem Bodensee nimmt es die Lebensgrundlage. 

Neben Umweltaspekten sind die Konstanzer:innen sehr direkt durch den Tourismus betroffen, was steigende Preise in der Gastronomie angeht. Auch der Anstieg von Grundstücks- und Wohnungspreisen macht vielen Einheimischen zu schaffen: Wer in einer Touristenhochburg wohnt, der bezahlt dafür. Auch das Problem der schlecht bezahlten Arbeitskräfte in der Hotellerie und Gastronomie geht an Konstanz nicht vorbei. Ein Bruttoarbeitslohn von 1.300 Euro, keine Bezahlung der Überstunden, arbeiten, wenn andere frei haben, sind nur einige Beispiele in dieser Problematik.

Das Büdingen-Areal

Ein gutes Beispiel für Nachteile im Tourismus in Konstanz ist die Fläche an der Seestraße, auf der ein Fünf-Sterne-Luxus-Superior-Hotel entstehen soll. Das Hotel schafft zwar Arbeitsplätze, nimmt den Konstanzer:innen aber auch gleichzeitig ein Stück Natur. Hätte die Stadt die Flächen in den 1980er Jahren gekauft, hätte sie das Areal nach eigenen Wünschen entwickeln können. Zum Beispiel für einen öffentlichen Park, familien- und seniorenfreundlich, ein Ort zum Verweilen, ein Ort für Insekten, Bäume, Lebensräume für Tiere. Oder, wenn schon nicht dafür, dann doch für den dringend benötigten Wohnraum.

Am Döbele sollen 250 Wohneinheiten entstehen, so viele hätten auf dem Gelände mindestens genauso Platz gehabt. Tourismus schadet in diesem Fall ganz klar dem dortigen Ökosystem und bringt den Anwohner:innen jahrelangen Baulärm ein.

Einige Nachbarn verfahren auch aktuell dagegen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen gibt die Stadt keine weiteren Informationen zum aktuellen Bauvorhaben heraus. Patrick Pfeiffer vom Verein Bürgerpark Büdingen e.V. hält das für Quatsch und argumentiert, dass die momentan laufenden Verfahren nur bei der Baubehörde liegen können und in keinem Gericht. 

Umsätze im Gastgewerbe

Stabile Einnahmequellen in Konstanz sind, unabhängig von der Pandemie, Einkaufstourismus und die vielen Gäste, die ihr Geld im Einzelhandel, der Gastronomie, der Hotellerie und in Kulturangebote investieren. Im Unternehmensregister des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg heißt es 2020 zu Konstanz, dass das Gastgewerbe einen Umsatz von 158 Millionen Euro generierte. Im September 2022 erhobene Zahlen zeigten, dass die Umsätze im Gastgewerbe in Deutschland insgesamt noch immer unter dem Vorkrisenniveau liegen, aber stetig steigen. Man kann davon ausgehen, dass Tourismus aber noch weitere Umsätze bringt, denn es gibt Synergieeffekte für weitere Wirtschaftsbereiche wie Einzelhandel, Verkehr und Gesundheitswesen.

Der gefühlte Frust

„Meine Stadt gehört nicht mehr mir“ – diesen Satz fühlen wohl einige Konstanzer:innen. An Samstagen sind in der Haupt-, aber auch in der Nebensaison viele Tagestourist:innen in der Stadt unterwegs. Für die Einheimischen ist das fast schon eine Plage, sich durch die überfüllte Stadt zu schlängeln. Aktionen, die vom Stadtmarketing für Tourist:innen geplant werden, sind zwar auch für die Bürger:innen nett, aber nicht nur für sie angelegt.

Der Christmas Garden auf der Mainau beispielsweise denkt die Einheimischen nicht mit. Horrende Eintrittspreise auf der allzeit beliebten Touristen-Blumeninsel laden die Einheimischen nicht unbedingt zu dieser Aktion ein. Selbst Inhaber:innen einer Mainau-Jahreskarte müssen draufzahlen. Gleichzeitig profitieren die Konstanzer:innen vor allem von Infrastrukturen und auch von den Einnahmen durch den Tourismus, die in irgendeiner Form wieder in die Stadt zurückfließen. 

Die Vorteile

Konstanz stellt sich Jahr für Jahr auf Besucher:innen und Urlauber:innen ein. Für die Stadt bringt das auch Vorteile mit sich. Ein sauberes Stadtbild lockt Tourist:innen an, ein klarer See lässt Kinderherzen höher schlagen, gepflegte Wahrzeichen machen Konstanz zu einem malerischen Ort. Tourismus hält Konstanz in gewisser Weise am Puls der Zeit, denn das Stadtmarketing muss sich immer die Frage stellen: Was wollen die Besucher:innen sehen, fühlen, erleben? Das bezieht sich nicht nur auf die Stadt, sondern auch auf das Umland, in dem die Landschaft gepflegt oder Naturschutzgebiete erweitert werden. Regionale Speisen sind in Zeiten der Klimaerwärmung beliebt und wenn auf einer Speisekarte „mit Gemüse von der Reichenau“ steht, schmeckt das bestellte Essen gleich noch besser. 

Auch wenn die Verkehrsführung durch Konstanz nervt: Die Infrastruktur hat sich nicht zuletzt auch wegen des Tourismus verbessert. Davon profitieren die Einheimischen unter der Woche, wenn alles gemütlich zugeht. Tourismus schafft außerdem eine Freizeitinfrastruktur, Produkte und Dienstleistungen, die es ohne Gäste nicht geben würde. Dazu gehören auch Wanderwege, Kulturveranstaltungen und Schifffahrten. Laut Stadtmarketing würde es ohne Besucher:innen viele Gasthäuser, Restaurants, Events und auch Geschäfte nicht (mehr) geben. Dieses Angebot erhöht auch die Lebensqualität der Bürger:innen.

Tourismus schafft Arbeitsplätze

2020 waren 7.190 Menschen im Gastgewerbe, also in der Gastronomie und der Beherbung in Konstanz beschäftigt. Diese Zahl beinhaltet aber noch nicht die Beschäftigten, die im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung arbeiten, die auch im Tourismus eine Rolle spielen. Das Stadtmarketing ist darum bemüht, neue Reiseanlässe zu schaffen. Beispielsweise werden in der Nebensaison Herbstschifffarten mit den Bodensee Schiffsbetrieben (BSB) angeboten. Aktionen in der Advents- und Weihnachtszeit, Hotelpauschalen, Stadtführungen und Dekorationen sollen stetig weiterentwickelt und an aktuelle Trends angepasst werden. Seit neuestem gibt es eine True-Crime-Tour. Die Umsätze, die durch den Tourismus generiert werden, können dann wiederum in die Stadt investiert werden. Inwiefern das auch Einheimische gut finden, beurteilt das Stadtmarketing nicht.

Was schließen wir daraus?

Für Konstanzer:innen ist es mit dem Tourismus wie mit Vielem: Es gibt eben zwei Seiten einer Medaille. Tourismus ist für die Umwelt und für das Klima insgesamt eher schädlich, auch wenn sich der nachhaltige Tourismus weiter etabliert. Wirtschaftlich gesehen ist Tourismus wichtig für Konstanz und bringt auch den Einheimischen eine attraktive Stadt. Letztlich wird Tourismus in der Stadt prioritär behandelt, weil er das kapitalistische System bedient und Einnahmen bringt. Was Einheimische sicher nicht vertragen können, ist noch mehr Verkehr und noch überlaufenere Samstage, an denen sich Mensch um Mensch durch die Stadt quetscht. Wünschenswert wären mehr Orte in Konstanz, an denen Einheimische vor touristischen Maßnahmen der Stadt geschützt sind.