Dieser Artikel handelt von der Liebe. Von der Liebe zu Kindern. Ich als Autor dieser Zeilen weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich schreibe, denn meine jüngste Tochter hat diese Liebe erfahren dürfen. Zu jener Zeit, als sie zu ihrer Tagesmutter Marion Romano gehen durfte. „Jedes Kind, das ich betreue, gehört für mich von Anfang an zu meiner Familie dazu. Ich behandele es wie ein eigenes.“ Was bedeutet: Es wird „gedrückt, geknutscht und mit dem Kind gekuschelt“. Sofern die Eltern einverstanden sind – und das sind sie immer! „Ansonsten kann man das nicht machen, die Kinder spüren das.“
Seit Oktober 1992 betreut die gebürtige Konstanzerin, Drittjüngste von sieben Geschwistern, Kleinkinder in ihrer Wohnung, im sechsten Stock eines Hochhauses in der Brandenburger Straße. Angefangen hat es mit einem Mädchen, ihr ältester Sohn ging gerade in die Grundschule, ihre Tochter war acht Monate alt. Und da der Altersunterschied zwischen den Geschwistern sehr groß war, suchte sie ein etwa gleichaltriges Kind. „Damit meine Tochter nicht wie ein Einzelkind aufwachsen muss.“
<!– Paywall –>Das wollte sie so lange machen, bis diese das Kindergartenalter erreicht hätte. „Und dann bin ich dabei hängen geblieben.“ Seit über dreißig Jahren nun schon. Die erste Vermittlung lief über das Jugendamt, eine Mutter wollte in den Beruf zurückkehren. 2,50 Mark bekam Marion damals pro Stunde. „Aber da ich eh zu Hause war, konnte ich mir so zumindest etwas dazu verdienen.“ Ganz unkompliziert, steuerfrei.
Jede Tagesmutter oder jeder Tagesvater benötigt grundsätzlich vor Beginn einer Betreuung eines Kindes eine Pflegeerlaubnis. Dafür muss er:sie Qualifikationskurse zur Kindertagespflege und einen Erste-Hilfe-Kurs am Kind besuchen. Außerdem muss er:sie kindgerechte Räumlichkeiten zur Verfügung stehen haben, Erfahrung in der Betreuung und ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen können. In Konstanz wird die Erlaubnis dann vom Jugendamt ausgestellt. Jedes Einkommen aus der Kindertagespflege ist steuer- und sozialversicherungspflichtig.
Bewegung ist wichtig
Kleinkinder ab sechs Monaten kommen nun schon seit Jahrzehnten zu ihr. Als ihre Tochter auszog, wurde aus dem Zimmer ein komplett eingerichtetes Spielzimmer mit Matratzen zum Schlafen und Hüpfen, unzähligen Kisten mit Spielzeug, Vorlesebüchern und sechs „Fühlkisten“, in denen man Nudeln, Steine, Styropor oder Knöpfe mit Händen und Füßen erspüren kann. Und noch vielem mehr.
Die Nachfrage nach Betreuung ist groß, bis zu zehn Kinder pro Jahr muss sie ablehnen. „Denen empfehle ich dann eine weitere Tagesmutter oder ich stelle das in unsere Tagesmütter-WhatsApp-Gruppe.“ In der tauschen sich 25 Konstanzer Tagesmütter aus und helfen sich gegenseitig weiter.
Die Woche läuft bei Marion klar geregelt ab. Um 5.30 Uhr steht sie auf, bereitet das immer frisch gekochte Mittagessen vor und richtet alles im Haushalt. „Meine Devise: So lange Kinder da sind, mache ich nichts nebenher in der Wohnung.“ Denn das ist ihre Arbeit: Kinder betreuen. Und sie liebhaben. Ab halb acht bringen die Eltern ihre Kleinen, Marion nimmt sie ab einem Alter von sechs Monaten zu sich. Manche werden gegen Mittag wieder abgeholt, andere bleiben bis spätestens 17 Uhr, das wird individuell geregelt.
„So lange Kinder da sind, mache ich nichts nebenher in der Wohnung.“
Marion Romano, Tagesmutter
Einmal die Woche geht es in einen Turnraum bei „Kids Place“, den sie dort mit einer anderen Tagesmutter für eine Stunde anmietet. Dann können die Kinder in dem aufgebauten Parcours durch Tunnels kriechen, ins Bällebad hüpfen, balancieren oder herumturnen. Nach Lust und Laune.
Bewegung ist Marion wichtig, deshalb biete sie ihren Schützlingen auch Kinderyoga an. Dafür hat sie Karten, auf denen bestimmte Haltungen abgebildet sind. Jedes Kind zieht zwei und alle machen das Abgebildete nach. „Und wenn meine Kinder unruhig werden, dann gehen wir in den Wald.“
Es gibt das afrikanische Sprichwort: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Dem kann Marion Romano nur zustimmen. Sie beobachtet, dass der Druck vom Elternhaus auf die Kinder in den letzten Jahren stetig gewachsen ist. Stichwort Frühförderung. „Sie können deutlich mehr als noch vor zwanzig Jahren.“ Farben benennen und zählen: Heute für die meisten Zweijährigen kein Problem mehr, was früher erst zwischen drei und fünf dran war. „Aber so besteht immer die Gefahr der Überforderung. Da braucht man sich nicht wundern, wenn später dann einige Jugendliche mit Depressionen zu kämpfen haben, weil sie sich vielen Situationen nicht gewachsen fühlen.“
„Kinder lernen so viel mehr, wenn sie miteinander spielen.“
Marion Romano, Tagesmutter
Ihr Motto: Kinder sie selbst sein, sie wachsen lassen. „Sie lernen so viel mehr, wenn sie miteinander spielen.“ Ihre Rolle ist mehr die einer Beobachterin: Wie reagiert ein Kind, wenn ihm ein Spielzeug aus der Hand gerissen wird? Können die Kinder es selbst regeln? Eingegriffen wird nur bei körperlichen Aktionen wie Kratzen, Beißen, an den Haaren Ziehen. „Was aber bei meinen Kindern fast nie vorkommt.“
Denn die erfahrene Tagesmutter spürt sehr genau, wie ihre Kinder „drauf“ sind. „Gut ist auch, wenn die Eltern mir gleich morgens erzählen, ob etwas zu Hause vorgefallen ist.“ Dann kann sie dem Kind gegenüber besonders aufmerksam sein. Was diese dann wieder beruhigt und entspannt.
Die Erinnerungen bleiben
Marion zeigt mir im Spielzimmer die Wand mit den Händeabdrücken der vielen Kinder, die über die drei Jahrzehnte bei ihr waren. Einige sind lange nach ihrer Betreuungszeit vorbeigekommen, um sich an der Wand zu verewigen.
Sinnierend bleibt sie davor stehen: Zu jedem Namen fallen ihr Geschichten ein. Zu einem Dutzend hat sie heute noch Kontakt, obwohl diese schon längst erwachsen sind. Eine studiert in Freiburg. Sie schreiben sich regelmäßig über Instagram. „Und wenn sie da ist, kommt sie manchmal für einen Drücker vorbei.“
Einige hat sie in wichtigen Lebensfragen beraten. Was soll ich studieren, hat eine gefragt. Ob Liebeskummer, Stress mit den Eltern, Marion bleibt für sie Seelsorgerin. „Ein Mädchen schreibt mir immer noch, dass sie mich lieb hat.“ Eine alleinerziehende Mutter, deren eigenen Söhne inzwischen 17 und 19 Jahre alt sind, lädt Marion und ihren Mann weiterhin zu ihrem Geburtstag ein. „Und sie hat Hühner im Garten, die dürfen wir regelmäßig besuchen und streicheln.“
Ein Blumentopf von Elias, der bereits in die Schule geht, steht im Bad. Drauf kann man lesen: „Danke, dass du mir beim Wachsen geholfen hast!“
Und jetzt? Wie soll das werden ohne Kinder in der Wohnung?
Reich ist sie mit ihrer Tagesmutter-Arbeit nicht geworden. Aber darum ging es ihr nie. Im Oktober 2023 soll nun Schluss sein. Der Job war körperlich anstrengend und kräftezehrend. Aber: „Das Ende macht mir auch Sorgen. Wie soll das werden?“
Seit 1984 hatte sie immer Kinder um sich. Ihr zweieinhalbjähriger Enkel lebt in Köln, den sieht sie zwar auch regelmäßig, doch wird das reichen? Wer Marion kennt, kann es sich kaum vorstellen. Sie so ganz ohne etwas auf dem Arm, was sie herzen und lieben kann? Unvorstellbar! So oder so: Die Wand mit den Handabdrücken – und damit die Erinnerungen an ihre Tageskinder werden bleiben.
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