Kein Vorreiter für kommunale Flüchtlingspolitik

Kann Konstanz mehr Geflüchtete aus dem Mittelmeer aufnehmen? Die Stadt ist ein „Sicherer Hafen“, doch die Unterbringung kommt an ihre Grenzen. Im Gemeinderat wurde durch einen Antrag eine übergeordnete Frage aufgeworfen: Wie kommunal darf Flüchtlingspolitik sein?
Das Foto zeigt ein Banner der Seebrücke
Foto: Ronja-L. Kurth

Vor Italien wartet ein Schiff mit 300 Geflüchteten. 319 Städte mit dem Titel Sicherer Hafen gibt es in Deutschland. Würde jede Stadt nur eine Person aufnehmen, könnte das Schiff anlegen. Eine einfache Rechnung in einer schwierigen Lage. Denn die italienische Küstenwache lässt Geflüchtete erst an Land, wenn geklärt ist, wohin sie danach können. 

Die dramatische Lage der Geflüchteten im Mittelmeer hat es vor kurzem auch in den Konstanzer Gemeinderat geschafft. Ein Antrag der Freien Grünen Liste (FGL) mit dem Titel „Sicherer Hafen“ fordert, dass Konstanz Geflüchtete auch über ihre Verteilungsquote hinweg schnell und unkompliziert aufnimmt. Und dass die Stadt sich auf Landes- und Bundesebene dafür einsetzt, das als Kommune selbstbestimmt umsetzen zu können. „Aufgrund der Situation, wie wir sie gerade auf dem Mittelmeer haben, muss eine Bewegung in Gang kommen“, sagt Katrin Brüggemann vom Verein Seebrücke. „Wenn Konstanz entscheidet, noch mehr aufzunehmen und andere das auch sagen, beginnt ein politischer Prozess.“

Forderungen an Sichere Häfen

Konstanz trägt seit dem 25. Oktober 2018 den Titel „Sicherer Hafen“ und hat sich damit bereit erklärt, mehr geflüchtete Menschen willkommen zu heißen als andere Kommunen. Die Idee: gemeinsam mit den 318 weiteren Kommunen eine Gegenstimme zur europäischen Abschottungspolitik zu sein. In Baden-Württemberg gibt es 44 Sichere Häfen – auch der Landkreis Konstanz gehört dazu. Aktuell erfüllt Konstanz sieben der acht Forderungen an die zugehörigen Städte – und ist damit Spitzenreiter in Baden-Württemberg. „Wir haben fast alle Forderungen erfüllt, eine nicht. Um die soll es gehen: Sichere Häfen sollen politische Möglichkeiten nutzen, um Veränderungen in der Migrations- und Aufnahmepolitik herbeizuführen“, sagt Christiane Kreitmeier von der FGL. „Deshalb beantragen wir, dass die Stadt erklärt, mehr Menschen über die Quote aufzunehmen und sich auf Landes- und Bundesebene für die rechtlichen Möglichkeiten einzusetzen.“ 

Im Detail ist die bisher nicht erfüllte Forderung folgende: „Konstanz setzt sich gegenüber dem eigenen Bundesland und der Bundesregierung für die Einrichtung neuer bzw. die deutliche Ausweitung bestehender Programme zur legalen Aufnahme von Flüchtenden ein und bietet dazu selbst zusätzliche Aufnahmeplätze an“. So heißt es auf der Website der Seebrücke. Die Ziele der vierten Forderung sind beispielsweise eine höhere Aufnahmequote auf Bundes- und Landesebene und eine eigene Norm zur eigenständigen Aufnahme durch die Länder. 

Foto: Seebrücke

Klar ist, die Flüchtlingsunterkünfte in Konstanz sind am Limit. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Geflüchteten in Konstanz auf 3.600 angestiegen. Die Stadt geht davon aus, dass sie schon ab Oktober diesen Jahres keine freien Plätze mehr in den Unterkünften hat. Ende nächsten Jahres fehlen sogar 450 Plätze, weil der Ausbau nicht schnell genug vorangeht. „Wir wissen, dass es schwierig ist, insbesondere in der Anschlussunterbringung, und wir möchten uns trotzdem dafür einsetzen“, sagt Christiane Kreitmeier von der FGL. Trotz der Lage ist die FGL der Meinung, dass Konstanz es schaffen könne und sollte: „Wir wollen, dass die Stadt sich positioniert gegenüber Land und Bund.“ 

Doch der Gemeinderat hat den Antrag entsprechend der Empfehlung der Verwaltung mit Stimmengleichheit abgelehnt.

„Wir hätten ein Vorbild sein können und das hätte ich auch wichtig gefunden. Die Intention des Antrags war es, auch andere Städte zum Mitmachen zu bewegen“,

sagt Katrin Brüggemann. 

Die Kritik lautet Symbolpolitik

Obwohl die SPD-Fraktion bisher stets unterstützend und solidarisch in der Konstanzer Flüchtlingspolitik war – vor allem auch beim Projekt „Sicherer Hafen“ –, stimmte die Fraktion geschlossen dagegen. Die Begründung: „Wir unterstützen keine Anträge, die faktisch nicht umsetzbar sind, damit niemandem helfen können und somit reine Symbolpolitik darstellen“, heißt es vom Fraktionsvorsitzenden Jürgen Ruff.

Symbolpolitik bezeichnet Politik, die von Zeichen untermauert oder darüber transportiert wird. Oft auch als die Politik der großen Gesten bezeichnet, wird der Begriff als Kritik verwendet, wenn der:die Kritiker:in davon ausgeht, dass ein politisches Zeichen nicht mehr als Show ist. Vor allem auf bundespolitischer Ebene hört man diesen Ausdruck immer wieder. Die Symbolträchtigkeit des Antrags der FGL und der Entscheidung spielte auch in der Diskussion im Gemeinderat eine große Rolle. „Es geht dabei ja mehr um eine symbolische Erklärung, nicht darum, dass plötzlich 100 neue Geflüchtete nach Konstanz kommen“, sagt Brüggemann. Ruff von der SPD meint: „Die Frage, wie viele kämen, ist erstens spekulativ und zweitens gar nicht gegeben, da die Zuteilung eine Angelegenheit des Bundes ist. Es bliebe zudem unabhängig von der Zahl das Problem, dass sie gerade nicht menschenwürdig untergebracht werden können, wenn man sie nicht bevorzugt behandeln will.“

Fakt ist: Der Antrag der FGL kann in der aktuellen rechtlichen Lage – die den Bund als zuständig festlegt – nicht umgesetzt werden. Deshalb fordert die FGL im zweiten Teil des Antrags, dass Konstanz sich auf Landes- und Bundesebene für die entsprechenden Rahmenbedingungen einsetzt. Gleichzeitig bleibt die Frage: Will Konstanz kommunale Flüchtlingspolitik machen? Ein klares Nein gibt es dazu von Seiten der SPD:

„Wenn es keine einheitliche, geregelte und für alle gültige Flüchtlingsaufnahme gibt, erschwert das die Flüchtlingspolitik insgesamt, die EU ist dafür ein ‚gutes‘ Beispiel. Mit gutem Grund sollte die Zuteilung von Menschen auf der Flucht deshalb besser in der Zuständigkeit des Bundes bleiben.“

Jürgen Ruff, SPD

Diese Gefahr sieht auch Katrin Brüggemann: „Natürlich ist eine Kommune flexibler als die Landes- und Bundesebene. Das Schwierige ist, dass zwischen Kommune, Land und Bund dann der Ball hin- und hergespielt wird.“ Und resümiert: „Eigentlich müssen wir alle nach einer europäischen Lösung suchen und die wird nicht gefunden.“

Lösung Wohnraum? 

Katrin Brüggemann zeigt sich mit der Konstanzer Flüchtlingspolitik bisher zufrieden. „Wir von der Seebrücke sind nicht in der Betreuung aktiv, da gibt es sicher einiges, was verbesserungswürdig ist – aber das vermag ich nicht zu beurteilen“, sagt Brüggemann. „Mir ist der Spagat, den die Stadt da macht, auch klar. Von der Seebrücke haben wir seitens der Stadt auch immer sehr große Unterstützung bekommen.“ Konstanz sei gut aufgestellt, grundsätzlich sei sie daher positiv gestimmt. Trotzdem „hätte ich mir gewünscht, dass der Antrag angenommen wird und man wieder Vorreiter sein kann für andere Städte“. 

Foto: Seebrücke

Dieses Mal wird Konstanz kein Vorreiter. Trotzdem hat die Stadt in der Flüchtlingspolitik viel geschafft, da war man sich auch im Gemeinderat einig. Bisher ziehen in der Thematik alle an einem Strang – diesen Konsens sieht Ruff durch Flüchtlingspolitik auf kommunaler Ebene in Gefahr: „Nicht zuletzt durch solche Forderungen würde die politische Auseinandersetzung über die Aufnahme von Flüchtlingen in die Kommunalpolitik getragen werden, auch in Konstanz, wo es dazu bisher kaum politische Spannungen gibt“, sagt er. Das Problem in Konstanz sei die Unterbringung und die kann wohl nur durch entsprechenden Wohnraum geändert werden. Ein Thema, bei dem man sich im Gemeinderat bisher nicht ganz einig ist.