Das Foto zeigt die Gäst:innen des karla Wohnzimmer beim Interview.

„Man hat einen Energie­nutzungs­plan für die Schublade erstellt.“

Welche Zukunftsperspektiven im Bereich Energie gibt es für Konstanz? Beim ersten karla Wohnzimmer haben wir gemeinsam mit Expert:innen und dem Publikum über Wärmenetze, Verzicht und die Frage, was jede:r beitragen kann, diskutiert. Ein Wortlautinterview.
karla vereint vieles von dem, was Moritz begeistert: das Lokale, das…

Wir wollen mit Expert:innen nicht nur hinter verschlossenen Redaktionstüren ins Gespräch kommen, sondern die Teilnahme am Diskurs für alle Konstanzer:innen öffnen. Deshalb durften bei der ersten Ausgabe vom karla Wohnzimmer nicht nur wir von karla mit unseren Gäst:innen Gordon Appel, Leiter Energiedienstleistungen bei den Stadtwerken Konstanz, Akim Zuck, Leiter vom Backstüble Zuck und Kaun, Manuel Oestringer von Fridays for Future Konstanz und Dani Behnke, Pressesprecherin vom Theater Konstanz, diskutieren, sondern genauso unser Publikum. Gemeinsam haben wir überlegt, wie die energetische Zukunft von Konstanz aussehen kann. 

karla: Inwiefern spürt ihr in eurem persönlichen wie auch in eurem professionellen Leben jetzt gerade die Krise?

Gordon Appel: Bei mir kommt das Private gerade ziemlich kurz. Ich bin sehr viel auf der Arbeit und stelle dort eine zunehmende Überforderung im Unternehmen fest, die einfach dadurch bedingt ist, dass wir nicht nur die Zukunft gestalten – was wir ganz gerne tun möchten –, sondern gerade auch ganz massiv die Gegenwart managen müssen. Preiserhöhungen, ständig neue Verordnungen, Gesetze, die kurzfristig umgesetzt werden wollen, und nebenbei auch immer noch die Vergangenheit bewältigen müssen. 

Akim Zuck: Das Bäckerhandwerk ist sehr energieintensiv, wir müssen die Backöfen heizen. Die Energiekosten haben sich bei uns verdoppelt. Das muss auf die Preise umgelegt werden. Durch die Inflation, die aktuell grassiert, müssen natürlich die Mitarbeiter besser bezahlt werden. Das ist im Moment auch ein sehr anstrengendes Thema. Privat ist es für mich einfacher zu handeln als im Betrieb. 

Dani Behnke: Das ist bei uns ähnlich, im Theater spüren wir die Krise überall. In den Proberäumen und den Büros wird weniger geheizt, im Foyer gar nicht mehr. Natürlich müssen wir heizen, wenn wir Publikum haben, aber es wird versucht, alles irgendwie runterzufahren. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit bei der Beleuchtung viel mehr mit LEDs zu arbeiten – einiges haben wir da schon umgestellt –, aber das ist eine große Investition. Das ist im laufenden Budget des Theaters nicht drin, das müsste die Stadt machen.

Manuel Oestringer: Bei mir ist es privat noch nicht so angekommen. Geheizt wird eh nicht so viel bei mir in der WG. Aktivistisch ist die Krise natürlich schon ein Thema. Bundespolitisch wurden in letzter Zeit mit dem Ausbau erneuerbarer Energien ein paar Schritte in die richtige Richtung gemacht. Aber durch die Schaffung massiver Überkapazitäten an LNG-Terminals und neuer jahrzehntelanger Abhängigkeiten von neuen Gasfeldern wurde die Krise letzten Endes wieder einmal vor allem genutzt, um das fossile System weiter zu stützen. In Konstanz ist die Krise schon ein Thema, aber durch die Klimaschutzstrategie ist das Ziel eigentlich ohnehin relativ klar und da kommt die Gaskrise einfach nur obendrauf. In jedem Fall ist es die Frage: Wie können wir möglichst schnell weg von Gas und Öl?

karla: Anders als bei früheren Krisen spüren wir die Coronakrise und jetzt auch die Energiekrise viel stärker persönlich. Beim Aktivismus ist man daran interessiert, dass Menschen sich für einen Wandel öffnen. Ist die Bereitschaft jetzt stärker, wo die Menschen das auch mehr persönlich spüren, Manuel?

Manuel Oestringer: Krise ist jetzt ja nicht erst seit der Energiekrise, aber für manche Menschen ist das die neue Krise. Ich denke, dass die Bereitschaft und der Wille, die Gasheizung zu wechseln, gerade deutlich höher sind. Das ist natürlich eine sehr gute Ausgangslage, wenn es darum geht, alle Gasheizungen die nächsten 13 Jahren in Konstanz loszuwerden. Aber viele Menschen waren auch vorher schon bereit, etwas zu tun. Hilfreich ist, dass allgemein einfach Druck da ist, dass man viele Dinge verändert. Gerade politisch.

Das Foto zeigt Manuel Oestringer und Gordon Appel im Gespräch
Manuel Oestringer (Mitte) im Gespräch mit Gordon Appel von den Stadtwerken Konstanz. Foto: Sophie Tichonenko

karla: Gordon, du arbeitest bei den Stadtwerken Konstanz. Wo siehst du denn jetzt gerade die Chancen in der Krise?

Gordon Appel: Wir haben unheimlich viele Anfragen bei Solaranlagen in diesem Jahr – eine Vervielfachung gegenüber dem letzten Jahr. Da merken wir natürlich, dass wir auf andere Engpässe wie die Verfügbarkeit von Handwerkern stoßen. Eine große Frage für uns ist jetzt: Wie kann man das aktuelle Engagement in der Bürgerschaft auf diesem Level halten? Es ist natürlich auch klar, dass wir all diese Anfragen nicht von dem einen auf den anderen Tag beantworten und umsetzen können. 

Publikum: Wie viel Gas haben wir denn in Konstanz bisher gespart? Gibt es da Zahlen?

Gordon Appel: Aktuell kriegen wir es nur mit über das, was durch das Netz insgesamt geleitet wird – das schwankt so zwischen zehn und 20 Prozent Einsparung. Also es könnte durchaus signifikant sein, wie man mehr Menschen mitnimmt. Ich finde, wir haben im letzten Jahr mit dem Bürgerbeteiligungsmodell für Photovoltaik einen ersten Schritt gemacht. Aber wenn wir die Hälfte der Fahrzeuge hier in Konstanz abschaffen wollen und dabei jedes Jahr weiter steigende Fahrzeugzahlen prozentual zur Bevölkerung haben, bin ich auch überfragt, wie das funktionieren soll.

karla: Auf der einen Seite gibt es das Engagement der Einzelpersonen, aber mich würde interessieren, in was für einer Verantwortung siehst du auf der anderen Seite die Unternehmen oder die Industrie?

Gordon Appel: Man merkt schon, dass da eher noch eine gewisse Schwierigkeit vorhanden ist. Die Menschen, die in solchen Unternehmen und Organisationen arbeiten, müssen dafür mitgenommen werden. Es gibt leider noch viele, die noch nicht so überzeugt sind, dass man jetzt gerade etwas tun müsste. Es ist eine große Herausforderung, dass die Unternehmen und die höher gelagerten Ebenen sich diesem Wandel jetzt schnell stellen.

karla: Wie schafft man das denn?

Gordon Appel: Menschen mitzunehmen kostet einfach sehr viel Zeit, das merken wir bei der Wärmewende. Wir haben nach unserer inhaltlichen Vorarbeit jetzt drei, vier Monate lang einen Partizipationsprozess mit verschiedenen Stake- und Shareholdern gemacht. Dieses Mitnehmen – auch wenn es zeitintensiv ist – ist in meinen Augen extrem wichtig. Also informieren und transparent sagen, was man tut. 

Das Foto zeigt die Gäst:innen vom karla Wohnzimmer im Interview.
Die Gäst:innen des karla Wohnzimmers im Gespräch über die Zukunftsperspektiven für die Konstanzer Energieversorgung. Foto: Sophie Tichonenko

Manuel Oestringer: Würde es dann nicht Sinn machen, mit dem Wärmeplan schon bei einzelnen Projekten in konkrete Planung zu gehen? Damit alles ein bisschen schneller geht und um Situationen, in denen eine Straße ohnehin aufgerissen wird, auszunutzen. Wie zum Beispiel beim Bahnhofsareal mit dem Lago und zahlreichen Hotels nebenan. Kann man diese Situation nicht nutzen, um dort bereits Rohre für ein Wärmenetz zu verlegen?

Gordon Appel: Das werden wir oft gefragt. Aber eine Wärmeleitung ist leider nicht wie eine Glasfaserleitung, bei der man mal ein Leerrohr verlegt und anschließend dann eine Faser da durch pustet. Ein Wärmenetz muss ausgelegt werden. Für die Auswahl der Rohrdimension muss man zum Beispiel schon die Anzahl der Abnehmer und die Leistung sowie die Zieltemperatur kennen, die man dort im Netz in ein paar Jahren haben will. Deshalb lassen sich solche kurzfristigen Tiefbaumaßnahmen leider nicht nutzen. Was wir aber versuchen, ist, in enger Abstimmung mit der Stadt die mittelfristigen und langfristigen Baumaßnahmen so zu koordinieren, dass wir diese Möglichkeiten gemeinsam nutzen können. 

karla: Akim, Gordon hat gerade angesprochen, dass sich die Unternehmen dem Wandel unterordnen müssen. Passiert das in deinem Gewerbe? 

Akim Zuck: Grundsätzlich ist es bei den Firmen natürlich schon ein langfristiger Prozess. Zusätzlich zu den zu stemmenden Kosten braucht das Handwerk mehr Manpower, um die Energiewende zu stemmen.

Wir würden gern ausbilden, aber es ist keiner da, den wir ausbilden können. Scheinbar wollen alle Leute in einen „Weißen-Kragen-Beruf“ und sich die Hände nicht mehr schmutzig machen. 

Akim Zuck

karla: Bedroht die Krise akut deine Existenz als Bäcker hier in Konstanz? Ist es denkbar, dass es deine Bäckerei in zehn Jahren nicht mehr gibt? 

Akim Zuck: Ich denke, die Existenz von unserem Betrieb ist jetzt nicht bedroht. Aber wir haben in Konstanz nur noch sechs Handwerksbäcker. Ich hoffe sehr, dass es unseren Betrieb in zehn Jahren noch gibt. Aber alle Bäckereien müssen sich der Situation stellen. Ich habe jetzt von einem Betrieb gelesen, der weitgehend umgestellt hat: Er kann im Sommer 50 Prozent seiner benötigten Energie eigenständig erzeugen. Im Winter sind es 25 Prozent. Das heißt, wenn es das Bäckerhandwerk weiter geben soll, ist es auf Energie von außen angewiesen.

Das Foto zeigt Akim Zuck während er spricht.
Akim Zuck beim karla Wohnzimmer. Foto: Sophie Tichonenko

karla: Der Kämmerer der Stadt Konstanz sagt: Wir müssen sparen, weil sonst unter anderem auch droht, dass der Hahn für die Kultur zugedreht wird. Dani, wie ist das bei euch? Macht ihr euch deswegen Sorgen gerade?

Dani Behnke: Also ich bin der Meinung, die Stadt muss sich Kultur leisten, um attraktiv zu bleiben. Genauso wie der Sport funktionieren muss, muss es auch die Kultur – und zwar gleichberechtigt. Es geht bei uns nicht nur um die Stücke, die wir spielen, sondern es geht auch darum, wie wir uns in der Gesellschaft darstellen, wie wir mit Kindern und Jugendlichen und auch mit älteren Menschen zusammenarbeiten.

karla: Kannst du uns einen Einblick in die Energieversorgung vom Theater geben?

Dani Behnke: Wir haben sehr alte Heizungen. Die Gebäude Stadttheater und Werkstatt in der Inselgasse, in der auch unsere Verwaltung sitzt, sind einfach schon sehr alt. Man hätte wahrscheinlich schon vor Jahren investieren müssen. Das fällt uns jetzt natürlich auf die Füße. Das Theater ist kein Gebäude, in dem man wirklich effektiv und klimaschonend heizen und arbeiten kann. Aber das muss von und gemeinsam mit der Stadt gelöst werden.

karla: Wir können auf manche Dinge, die wir in unserem modernen Leben brauchen, offensichtlich nicht verzichten. Wenn wir von der Energiekrise als Wendepunkt sprechen, dann sprechen wir von Dingen, die wir auch loslassen müssen. Welche Dinge sind das?

Manuel Oestringer: Ein Problem, warum wir diese klammen Haushaltskassen haben, ist, dass wir schlecht sanierte Gebäude, Gasheizungen und keine Wärmenetze haben. Zu sagen, dass wir kein Geld für die Gebäudesanierung haben, ist nicht zielführend. Generell ist die Frage, wie Kommunen jetzt Klimaschutz finanzieren können, ein größeres Thema. Deshalb fordert Friedas for Future Baden-Württemberg, genauso wie der Städtetag auch, dass Klimaschutz kommunale Pflichtaufgabe wird. Umsetzen könnte das Baden-Württemberg oder der Bund. Ich finde, wir können uns ja mal fragen, wo wir gerade richtig unnötig Energie herausschleudern. Was mir da immer am meisten auffällt – vor allem im Sommer – sind die 26.000 Spaßmotorboote auf dem Bodensee. Wenn wir in einer Energiekrise sind und uns überlegen müssen, wie wir fossile Energieträger einsparen, dann ist mal der erste Schritt zu überlegen, ob das noch so bleiben kann.

Karla: Wir sprechen von der Energiekrise als Wendepunkt. Wir wissen, wir müssen viele Dinge verändern und auch Energie einsparen. Die Therme verbraucht 6.500 Megawattstunden im Jahr im Durchschnitt, was einen enormen Anteil hat. Gordon, wie siehst du das, brauchen wir so etwas noch?

Gordon Appel: Ich persönlich glaube an das kleine Zahnrad. Ich fange bei mir als Erstes an. Wenn wir uns alle so verhalten würden, hätten wir das Problem gar nicht. Die Therme würde ja schließen, wenn keiner mehr hingeht. Aber ob man ein Bad jetzt deswegen schließen muss? Oder ob man jetzt das Bad in der Spanierstraße schließen muss, wo der Schwimmunterricht der Schulen stattfindet? 

Publikum: Große Firmen haben viel Potenzial zur Einsparung und haben das zum Teil auch umgesetzt. Da war man ja überrascht, dass man ganz plötzlich 20 Prozent Energie einsparen kann. Das heißt, über den Preis hat es funktioniert. Für so kleine Bäckerbetriebe ist es natürlich total schwierig. Wenn von unten nach oben gespart werden muss, würde ich das wirklich für fatal halten.

Wenn wir die Bäder zu machen, dann hat das Auswirkungen auf den Schulsport, die Kinder lernen nicht mehr schwimmen, die Vereine können nicht mehr trainieren, das hat Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt.

Einwurf aus dem Publikum

Dann kommen wir irgendwann dahin, dass die Leute, die es sich leisten können, weiterhin mit viel PS über den See ballern und der Rest sich gar nichts mehr leisten kann. 

Gordon Appel: Ich finde, dass wir durchaus über das eine oder andere Thema in der Krise auch wieder mehr ins Streiten kommen können – um gemeinsam die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Ich merke das in meiner täglichen Arbeit, zum Beispiel wenn es um das Thema solar geht. Wenn man sich da mit der Stadt unterhält, sitzen da ganz viele verschiedene Menschen mit einem sehr starken Blick auf die Umwelt und den Naturschutz. Das haben wir auch bei der Windenergie in Deutschland erlebt. Ein Einzelner, der eine Freiflächen-Solaranlage bauen will, hat dagegen keine Chance.

karla: Warum hat er keine Chance? 

Gordon Appel: Weil er alleine ist und die anderen drei erzählen, wie wichtig es ist, dass da die Eidechse läuft und der Hamster da seine Familie hat. Darüber muss man einfach streiten und versuchen, die Menschen zu überzeugen. Es gibt auf vielen Ebenen noch ein Ungleichgewicht in dem Thema. 

karla: Wie gelingt es uns, die Menschen zu erreichen? Es sind oft einfach die gleichen Menschen, die sich für Themen interessieren. Wie erreichen wir diejenigen, die mit dem Motorboot über den Bodensee brettern?

Dani Behnke: Der erste Schritt ist, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich denke, man kriegt Leute schon dazu, wenn man sie einfach mal einlädt, Dinge auszuprobieren. Theater funktioniert eigentlich ganz genauso. Ich muss nicht immer eine riesige Werbekampagne haben, sondern kann einfach erzählen, wie toll das eine Stück ist. Und der Nächste erzählt es weiter. Wir sind hier in einer kleinen Stadt, wo die Leute sehr viel miteinander reden, sodass man damit viele erreichen kann.

karla: Manuel, du hast in einem Interview mit karla gesagt, in den nächsten zehn Jahren entscheiden sich die nächsten 10.000 Jahre. Das klingt sehr dramatisch.

Manuel Oestringer: Ich finde die Vorstellung, dass jeder bei sich anfängt, etwas naiv, weil sie komplett vernachlässigt, dass es extreme Vermögensungleichheit in Deutschland gibt. Deshalb braucht es ganz klar systemische Lösungen. Es geht immer um die Frage, wie können wir ein gutes Leben für alle ermöglichen? Und die ganz klare Antwort ist: nicht, indem wir Luxusemissionen haben.

Luxusemissionen sind für mich Emissionen, die nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung verursacht, für ein sehr privilegiertes Vergnügen.

Manuel Oestringer

In der Klimaschutzstrategie steht auch geschrieben, dass sich der PKW-Verkehr in Konstanz halbieren muss, momentan wächst die PKW-Dichte. Sehr viele Entwicklungen gehen in die falsche Richtung. Zu sagen, wir müssen alleine bei uns anfangen, löst das Problem nicht.

Publikum: Studien zeigen, dass die Leute, denen die Klimakatastrophe sehr bewusst ist, eher zu der reichen oder gebildeten Schicht gehören. Statistisch gesehen verursacht diese Schicht ja auch die höchsten Emissionen. Wie geht das zusammen?

Manuel Oestringer: Wenn du in unserem momentanen System Geld hast, kaufst du dir davon irgendwelche Dinge und diese sind klimaschädlich und werden ressourcenintensiv hergestellt. Es geht also darum, das ganze System zu verändern. Es braucht politische Maßnahmen wie Verbote und Umverteilung, sodass alle Menschen genug haben, aber keiner zu viel. Dann braucht es natürlich auch systemische Veränderungen, damit niemand ein Auto haben muss, sondern es immer leichter ist, etwas klimafreundlich zu machen. 

Publikum: Naturschutz ist schon seit Jahrzehnten gesetzlich verankert und in Verbänden organisiert. Klimaschutzmaßnahmen und erneuerbare Energien sind relativ neu und müssen sich vielleicht noch eine breitere Lobby aufbauen oder auch die nötigen Gesetze. Müssen wir diesen Streit Naturschutz gegen Klimaschutz führen?

Gordon Appel: Den müssen wir definitiv führen. Es ist ja so, dass Naturschutz auch immer ein Teil vom Klimaschutz ist.

Wir können uns die Natur schön reden, aber werden sie trotzdem zerstören, wenn wir beim Klimaschutz nichts tun.

Gordon Appel

Es muss in die Köpfe rein, dass das alles miteinander verbunden ist. Wir haben es bei der Windkraft gesehen, das hat jetzt 15 Jahre gedauert. Da haben wir einzelne Vögel gezählt. Anscheinend haben wir in Deutschland gesagt, dass das wichtiger ist.

Manuel Oestringer: Letztes Jahr hat Baden-Württemberg im Klimaschutzgesetz beschlossen, dass jede Region etwa zwei Prozent erneuerbare Energien ausweisen muss. Merkt ihr das schon, dass mehr Fläche für PV bereitsteht?

Gordon Appel: Die Stadt hat sich jetzt dieser Aufgabe angenommen und erstellt gerade eine Solarfreiflächen-Analyse. Die wird im ersten Quartal des nächsten Jahres veröffentlicht. Aber die Fläche ist das eine, dass darauf eine nutzbare Energiegewinnung erfolgen kann, ist das andere. Sind Wärmesenken in der Nähe, wo ich die Wärme nutzen kann, oder kann ich den Strom über das Netz abtransportieren? Das schauen wir uns gerade intensiv an.

Das Foto zeigt Gordon Appel von den Stadtwerken Konstanz im Gespräch.
Gordon Appel, Leiter Energiedienstleistungen, bei den Stadtwerken Konstanz. Foto: Sophie Tichonenko

karla: Bei der Energiewende dauert immer alles sehr lang. Du hattest das Potenzial von Wärmenetzen hier in Konstanz angesprochen. Wie können diese konkret aussehen? Und wann ist die Umsetzung realistisch?

Gordon Appel: Wenn wir im ersten Quartal des kommenden Jahres die Wärmenetz-Vorranggebiete mit der Stadt zusammen veröffentlichen, werden wir versuchen, sie grob in die Zeiträume 25 bis 30 und 30 bis 35 zu clustern. Trotzdem wollen wir versuchen, sehr viel Geschwindigkeit aufzunehmen. Das heißt: erst mal mit einem oder zwei Netzen anzufangen, um auch Erfahrungen zu sammeln. Aber wir müssen ja alles neu lernen. Wir müssen uns Dienstleister suchen, die uns in verschiedenen Bereichen unterstützen. Wir brauchen Fördermittel und müssen dafür Machbarkeitsstudien erstellen. Damit wollen wir im nächsten Jahr für ein bis zwei Gebiete anfangen. Ich würde es schön finden, wenn Ende 2024 tatsächlich schon mal etwas passieren würde und zum Beispiel der erste Spatenstich erfolgt. Aber das wird wahnsinnig schwer, das hinzubekommen.

karla: Warum fängt man erst jetzt damit an?

Gordon Appel: Weil es keine politischen Mehrheiten gab.

Man hat 2018 einen Energienutzungsplan für die Schublade erstellt. Danach ist damit nichts passiert.

Gordon Appel

Dass man darauf basierend kein Wärmenetz planen kann, war aber klar. Deswegen hat es diesen Zwischenschritt der strategischen Wärmenetzplanung jetzt einfach gebraucht. Der Bodensee hat zum Beispiel theoretisch unendlich viel thermische Energie, aber wie viel man davon wirklich technisch nutzen kann und in welchem Projekt müssen wir erarbeiten.

Publikum: Ist die Antwort auf die Frage nicht eher: Die Stadtwerke haben nichts gemacht, weil der Preisdruck nicht hoch genug war?

Gordon Appel: Das hat mit den Stadtwerken nichts zu tun. Wir haben uns die letzten Jahre immer als Dienstleister gesehen. Bei einer Anfrage für die Wärmeversorgung haben wir in der Regel zwei bis drei Konzepte erstellt und die Kunden haben sich meistens für die günstigste Variante entschieden. Gas war bisher einfach viel zu billig. Ich hoffe, dass der Gaspreis nicht auf diesem Niveau bleibt, aber er wird auch nie wieder dahin zurückkommen, wo er mal war. Erneuerbare Wärmenetze sind durch diese Krise wettbewerbsfähig geworden. Die Stadtwerke sind eine GmbH, wir haben einen Gewinnerzielungsauftrag oder müssen zumindest die Waage halten. Das heißt auch, dass wir finanziell negative Bereiche in der Stadt – wie den Busverkehr – mit gewinnbringenden Bereichen ausgleichen.

karla: Wir haben ja schon über die langen Zeiträume gesprochen, wie lange alles dauert. Ist die Demokratie zu langsam für die Energiewende? 

Akim Zuck: Demokratie ist, glaube ich, immer etwas langsamer, weil einfach diskutiert wird. Wenn etwas bestimmt wird, dann geht es schnell. Ein klassisches Beispiel ist: Bei der Feuerwehr wird eine Ansage gemacht und dann laufen alle. So funktioniert Demokratie einfach nicht.

Dani Behnke: Natürlich geht alles langsam, aber es wird eben auch gemeinsam entschieden. Ich würde mir auch wünschen, dass alles schneller geht. Aber vielleicht liegt es auch nicht nur an der Demokratie, sondern auch an der Verwaltung, die etwas aufgeplustert ist.

Das Foto zeigt Dani Behnke beim karla Wohnzimmer.
Dani Behnke, Pressesprecherin des Theaters, beim karla Wohnzimmer. Foto: Sophie Tichonenko

Manuel Oestringer: Ich erlebe nicht, dass Diktaturen Klimaschutzvorreiter sind. Deshalb würde ich sagen, es bringt uns nicht weiter, wenn wir hier irgendwie in Autokratie geraten. In Umfragen ist der Großteil der Bevölkerung meistens für mehr Klimaschutz, als tatsächlich passiert. Gleichzeitig gibt es auch einige fossile Projekte, die keinen Rückhalt der Bevölkerung haben. Deshalb würde ich sagen, dass wir vielleicht sogar zu wenig Demokratie haben und mehr partizipative Elemente brauchen. Ich denke, solche Elemente wie Bürger:innenräte werden auf jeden Fall ein wichtiges Element, um die Politik zu ergänzen. 

karla: Im Hinblick auf euer Zutun zur Energiewende, welchen Hürden begegnet ihr alle, die ihr eigentlich gerne einfach aus dem Weg haben würdet? 

Akim Zuck: Im beruflichen Bereich sind die Hürden mit Sicherheit, dass es oft lange Wege für Genehmigungsverfahren gibt. Gordon hat vorhin zum Beispiel Freiflächen genannt. Wenn wir aus unserem Betrieb mit Gedanken und Ideen an die Stadt Konstanz herantreten, mahlen die Mühlen manchmal schon etwas langsam.

Manuel Oestringer: Hürden gibt es im Klimaschutz natürlich sehr viele. Im Sommer haben die Stadtwerke noch eine Broschüre für Gas verschickt mit dem Slogan „Umweltfreundlich, sicher, nachhaltig“. Da dachte ich, das braucht es wirklich nicht mehr. 

karla: Inwiefern hast du das Gefühl, dass die Krise etwas für eure aktivistischen Anliegen tut? Es wird ja viel davon gesprochen, dass in Krisenzeiten die Menschen jetzt realisieren, wir müssen sowieso etwas tun und das hilft gleichzeitig auch dem Klimaschutz. 

Manuel Oestringer: Ich habe das Gefühl, dass gerade mehr Wille da ist, Sanierungsraten voranzubringen und Heizungen zu tauschen. Wenn es um die Frage geht, wie wir möglichst schnell klimaneutral werden können, müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie wir möglichst viel Energie einsparen können. In der Tagesschau war vor Kurzem noch ein Kommentar, dass Ingenieure daran tüfteln, wie man in Zukunft klimaneutral fliegen kann. Das wird es vielleicht geben, aber das wird es sicher nicht in dem Umfang geben, dass wir keine Umstellung haben müssen. Solange noch so ein naiver Glaube in die Technik da ist, die nicht in Betracht zieht, dass wir auch Energie einsparen müssen, haben wir noch sehr viel vor uns.

Gordon Appel: Ich komme von der persönlichen Ebene nicht weg, auch wenn ich weiß, wie wichtig Systeme sind. Für mich sind aber Menschen Teil eines Systems und deswegen ist es wichtig, dass da auch Veränderung passiert und dass man die mitnimmt. Das macht mich manchmal persönlich einfach fertig, dass ich dann bei Menschen wenig Veränderung sehe. Und für mich ist jeder Einzelne ein Spiegelbild der Gesellschaft und damit von uns allen. 

Dani Behnke: Für mich sind die schlimmsten Hürden eigentlich die, dass ich eben sehr viele Sachen gar nicht selbst entscheiden kann. Wenn ich zur Miete wohne, kann ich nicht entscheiden, wie da geheizt wird. Das ist natürlich für sehr viele Menschen ein Problem. Oder wenn ich eben lieber mit dem Zug fahren möchte oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und es gibt gar keine. Das sind die schlimmsten Hürden, die man eigentlich nicht haben dürfte.

karla: Danke, dass ihr mit uns zum Thema Zukunftsperspektiven bei der Energieversorgung in Konstanz gesprochen habt.