Rezepte gegen das Scheitern

Wir setzen uns oft selbst Grenzen, damit unser Leben griffiger wird. Zufrieden macht uns das nicht. Vielleicht wird es Zeit, die alten Rahmen zu sprengen, findet unser Kolumnist Oliver Wnuk.

Gutes Neues!

Haben Sie sich etwas für das neue Jahr vorgenommen? Was wollen Sie seit Langem schon verändern in ihrem Leben?

Weniger Fleisch, mehr Sport – und Alkohol nur noch am Wochenende?

Sich mehr Zeit für die Kinder nehmen, aber auch die nächste Sprosse auf der Karriereleiter?  

Mehr lesen? Ja! Unbedingt mehr lesen und überlegen, wie sich mühelos die Persönlichkeit optimieren ließe. Aber auf jeden Fall mehr „Me-Time“ und „mehr Zeit für uns als Paar“. Auf die Work-Life-Balance achten! Man lebt ja schließlich nur ein Mal.

2023 soll ein großartiges Jahr werden! Es muss doch mal wieder ein tolles Jahr werden!!

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Nicht wollen, sondern machen!

Und …? Haben die guten Vorsätze die ersten Wochen des Jahres überlebt? Oder ist wieder alles wie immer? Warum fällt es so schwer, Umsetzbares in den Alltag zu etablieren, auch wenn man weiß, dass die Veränderung das eigene Wohlbefinden steigern würde?

Dieses Jahr will ich mit dem Rauchen aufhören.“

Vergessen Sie es! So wird das nichts. Nehmen Sie sich nichts vor. Wollen Sie nichts: Machen Sie es einfach! Jetzt!!

Ich weiß, wie schwer das ist – ich war selbst Kettenraucher und rühre seit über 18 Jahren keinen Glimmstängel mehr an. Ich behaupte, sich etwas vorzunehmen ist dann zum Scheitern verurteilt, wenn man es nicht innerhalb der folgenden 72 Stunden umsetzt.

Warum wir das Gewohnte ungern aufs Spiel setzen

Es geht nicht um die jährliche Neuerfindung des eigenen Seins, aber wenn man keine Phantasie zu sich und seinen Möglichkeiten hat, liefert man sich reaktiv der eigenen Unzufriedenheit aus, anstatt aktiv Einfluss auf seine Lebensumstände zu nehmen.

Und geht es einem letztendlich nicht genau darum? Um Einfluss und Kontrolle?

Das scheint nämlich der eigentliche Grund zu sein, warum sich neue Gewohnheiten so schwer etablieren lassen:  die vermeintliche Sicherheit – das Gewohnte wird nicht gern aufs Spiel gesetzt.

Warum sollte man riskieren, was man kennt? Erstmal sekundär, ob es einem guttut oder nicht.

„Wenn du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher. Wenn du viel loslässt, bist du viel glücklicher. Wenn du ganz loslässt, bist du frei.“

Ajahn Chah

Warum rahmt man sich ein Bild ein? Warum pinnt man es sich nicht einfach so an die Wand? Um es sichtbarer zu machen? Um ihm einen besonderen Wert zu geben?

Ich bin davon überzeugt, dass jeder früher oder später damit beginnt, sein Leben imaginär einzurahmen, damit es für einen selbst griffiger wird.

Doch rahmt man ein, setzt man auch Grenzen.

Lieber das eine richtig, statt viele Dinge halb machen. Ernsthaft?

Im optimalen Fall bestehen die Rahmenteile aus den eigenen Werten und den daraus resultierenden Prinzipien, nach denen man sein Leben ausrichtet.

Leider handelt es sich dabei aber auch oft nur um alte Glaubenssätze – meist noch nicht mal die eigenen, sondern jene der Eltern, Lehrer oder von denen, die in früher Kindheit großen Einfluss auf einen hatten.

Ich habe Bekannte, die meinen, sich mit einem Immobilienkredit die Berechtigung zu folgender Aussage erschlichen zu haben.

„Ich kann jetzt hier die nächsten 20 bis 30 Jahre nicht weg. Ich muss ja schließlich erst noch das Haus abzahlen.“

Sie haben sich den Rahmen Hauskredit verpasst, der ganz viele Freiheiten beziehungsweise Möglichkeiten zur weiteren Lebensgestaltung kategorisch ausschließt. Somit können sie sich mit ganzer Konzentration auf diesen kleinen Bereich der großen, weiten Welt konzentrieren und sich dabei einreden, gar nicht das Bedürfnis nach Flexibilität zu haben. Glaubenssatz: „Lieber das eine richtig, statt viele Dinge halb machen.“ 

Viel zu oft reden wir uns die Dinge schön.

„Ich kann mich nicht trennen. Wir haben doch schließlich erst geheiratet. Außerdem sind die Kinder noch so klein.“

Wie oft weiß man eigentlich schon, dass nichts mehr zu retten ist, und versucht sich dennoch, alles einigermaßen schön zu reden?

„Vielleicht hat sie nur eine Krise“ , „Das ist halt so, wenn man so lange zusammen ist“, „Man entliebt sich eben schon mal – das kommt schon wieder“, „Wir müssen halt einfach mehr Sex haben – Liebe ist auch ein Verb. Das muss man machen.“ 

Wie wäre es, den Rahmen zu sprengen?

Wir haben deshalb Respekt vor einer erweiterten Version unserer selbst, da wir einerseits existenzielle Angst vor dem eigenen Scheitern haben und andererseits damit beginnen müssten, uns und den anderen eine erweiterte Geschichte von uns selbst zu erzählen. Damit riskieren wir unsere mühsam zusammengeflickte Identifikation.

„Ich habe jetzt doch die und die Meinung“, „Bin jetzt nicht mehr mit Dingsbums zusammen“, „Mach jetzt neuerdings dies und jenes“, „Bin jetzt Vegetarier“, „Eigentlich will ich mich gar nicht mehr mit dir treffen, denn du tust mir schon seit Langen nicht mehr gut.“

„Und warum?“

„Einfach so. Weil ich es kann.“

So bleiben wie man ist? Wäre das nicht Stillstand?

„Na, mal gucken, ob das so eine gute Idee ist“, sagt der bislang gute Freund argwöhnisch. Dabei hat er einem doch am letzten Geburtstag noch ein wohlgemeintes „Bleib’ so, wie du bist.“ ins Ohr geflüstert.

In der Entwicklung liegt das Potenzial der Menschheit. Wer stehen bleibt, schlägt Wurzeln und wenn ein Baum aufhört zu wachsen, stirbt er – doch für den guten Freund soll man der bleiben, der man gestern war, damit er einen morgen noch gut einschätzen kann und man weiterhin dem Bild entspricht, das er von einem hat.

Wie viel Millionen Paare mag es wohl geben, die nur noch aus Gemütlichkeit zusammen sind?  Bei denen der Austausch von Zärtlichkeiten, wenn überhaupt, nur noch zum leidigen Pflichtprogramm gehört. Die sich schon lange nichts mehr zu sagen haben oder nur noch, dank der gemeinsamen Kinder, über Bande kommunizieren können.

Wie man sich auch als Paar weiterentwickeln kann

Wenn sie von der Arbeit kommt, hätte sie am liebsten, dass er nicht zu Hause ist, denn so ein Abend allein wäre doch eigentlich viel angenehmer. Und er versteht Udo Jürgens und sein „Ich war noch niemals in New York“ nur zu gut, wenn er davon singt, einfach zu verschwinden und woanders ein neues Leben aufzubauen, aber stattdessen feiern die beiden ein weiteres, lustloses Silvester und sie fragt ihn mäßig interessiert, was er sich denn fürs neue Jahr wünsche, und er schwafelt irgendwas von Gesundheit, denkt aber an ein aufregendes Liebesabenteuer mit seiner Sekretärin.

Keine Frage – natürlich kann man sich auch als Paar weiterentwickeln. Dazu sollten beide ein ähnliches Maß an Offenheit, Vertrauen und Vorstellungskraft besitzen.

Wenn man in den alten Abläufen verharrt – steckt dann vielleicht ein geringer Selbstwert dahinter?

Damit wäre ein Teufelskreis zu durchbrechen, da sich schließlich mit neuen Erfahrungen, die aus neuen Gewohnheiten beziehungsweise Erlebnissen resultierten, der Selbstwert und die Selbstliebe steigern ließe.

Warum nicht noch einmal alles neu denken?

Was hat man denn wirklich zu verlieren, wenn man das Leben verantwortungsvoll (= mit den richtigen Antworten) einmal nach links dreht?

Mir persönlich hilft dabei ein sekundenschneller Realitätscheck, der mich immer wieder zuversichtlich stimmt:

Ich – als Ressource – bin viel wert.
Bin ich in Sicherheit?
Werde ich geliebt?
Ich habe einen gesunden Geist und zwei gesunde Hände.

Und Sie?

Stopp!! Stopp, jetzt!!!
Habe ich den Bogen zu weit gespannt?!
Beruhigt Sie es, wenn ich mir diese Frage stelle?
Worum ging es denn eingangs?

Ein bisschen mehr Sport, etwas weniger Alkohol und mehr Zeit für die Lieben?

Na, in Anbetracht der großen Themen, müsste dass doch ein Leichtes für Sie sein.

Viel Glück dabei!

Herzliche Grüße und ein gutes, gesundes, neues Jahr wünscht Ihnen

Ihr Oliver Wnuk